Spielmannszüge, Christian Kaufmann

Spielmannszüge, Christian Kaufmann, Ausstellung in der Evangelische Stadtakademie Frankfurt, 2006

Beim Begriff „Spielmannszüge“ denkt man heute an farbenfrohe Trachtenumzüge, etwa die des Oktoberfests: Bläser und Trommlergruppen in Lederhosen. Und angesichts des farbenfrohen Spektakels solcher Umzüge vergisst man nur zu leicht seinen kriegerischen Ursprung. Begleitet von fröhlichen Trommelwirbeln marschierte die Armee in den Krieg. Spielmannszüge produzierten Marschmusik.

Parastou Forouhar hat damit einen zweischneidigen Titel gewählt für ihre Ausstellung  im Dominikanerkloster. Eine sehr reduzierte Ausstellung, die sich auf die Installation eines stilisierten Brunnens konzentriert.

Der Brunnen hat in vielen Kulturen eine symbolische Bedeutung als Lebensspender. Im Hebräischen oder auch im Persischen bezeichnet das selbe Wort Brunnen und Auge. Der Brunnen bildet eine Metapher für das Schauen, für Erkenntnis, Segen, Heil, oder Reinigung. In der christlichen Lehre gilt Gott als der Brunnen des Lebens und in arabischen Ländern gilt das Mauerquadrat, das man um einen Brunnen errichtet, als Abbild des irdischen Paradieses.

Und auch in unseren Märchen bildet der Brunnen als ein „Auge“ ins Innere der Erde eine Metapher für den Zugang zum Paradies: bei Frau Holle beispielsweise springt Goldmarie aus Angst vor ihrer Mutter in den Brunnen – ein klassischer Suizid – und landet im Paradies.

Für den Fall, dass ein Brunnen nicht allzu tief ist, spiegelt sich zudem auf seiner Wasseroberfläche die Welt darüber und, wenn man hineinschaut, natürlich auch das eigene Spiegelbild, man erkennt sich buchstäblich selbst.

Der Brunnen von Parastou Forouhar ist kein Gefäß für Wasser, sondern für Licht. Er ist eine Lichtquelle Und in der Tat hat man beim Eintreten in den Raum das Gefühl, dass da ein geheimnisvolles Licht aus der Tiefe hervorquellt.

Auf dem Boden des Brunnens erblickt man mit der Videoinstallation einen Reigen von Mustern, die sich kaleidoskopartig immer wieder zu neuen Mustern zusammensetzen. Gut, denkt man sich, die Künstlerin kommt aus Persien, und das Ornament ist dort tief verwurzelt im kulturellen Gedächtnis und der Bildsprache.

Auf den zweiten Blick erst erkennt man die menschlichen Darstellungen. Figuren wiegen sich da, Körper beugen sich und werden gebeugt, erst einmal scheint es, dass die Figuren miteinander tanzen, doch dann erkennt das brutale Geschehen, und die Gewaltexzesse, die sich die Figuren gegenseitig antun. Figuren sind gefesselt, werden gepeitscht, gehängt, die Körper gebrochen usw. Die Opfer sind an Händen und Beinen gefesselt und ihnen sind die Augen verbunden, das heißt, ihnen ist das Erkennen verwehrt. Auch wenn in der Animation alle weiteren Hinweise fehlen, kann man sich doch vorstellen, wie sich etwa ein gefesselter Mensch auf einem Pfahl fühlen muss, dem die Augen verbunden sind und der nicht weiß, wohin er stürzt, wenn er das Gleichgewicht verliert. Deutlich wird bei der Installation auch, wie nah Lust und Leid beieinander liegen, Opfer und Täter in einer fatalen Beziehung zueinander stehen können.

Wer Parastou Forouhar kennt, der weiß, dass ihr eine Gesellschaftsordnung, in der sich der einzelne in eine Struktur unterordnen muss, zutiefst verhasst ist. Und wir kennen sie natürlich als eine engagiert politische Künstlerin, die gegen staatliche Willkür in ihrem Heimatland und für die Rechte von Frauen ins Feld zieht.
Doch die Brunnenbilder, mit denen Parastou Forouhar uns hier konfrontiert sind ungeachtet ihrer orientalisch-ornamentalen Anmutung zeitlos und interkulturell.

Das Phänomen des Folterns zieht sich durch alle Kulturen. Sie finden sich häufig in archaischen Mythen, oft auch vor einem religiösen Hintergrund (auf einer Szene in der Videoanimation halten die Peiniger eine Schüssel, um zu verhindern, dass das Blut des Opfers auf den Boden gelangt, weil dieses eben vor einem religiösen Hintergrund als unrein galt. Und wenn wir in den christlichen Raum blicken, dann gibt es viele mittelalterliche Altäre, die voll von Märtyrerdarstellungen sind).
Man lehnt sich ja meistens innerlich bequem zurück, wenn beispielsweise in der Bibel von Steinigungen die Rede ist, schließlich liegt das über 2000 Jahre zurück und auch die Folterwerkzeuge der Inquisition haben bestenfalls den Gruseleffekt eines guten Krimis auf uns.
Die Medien-Bilder aus dem Irak aber, dem berüchtigten Abu Ghraib, Bilder von gefolterten Gefangenen, die 2005 um die Welt gingen, sind eben nicht 2000 Jahre alt, sondern zeitgenössisch und die Folterer Angehörige einer der führenden Industrienationen.
Die Presse-Bilder aus dem Irak zeigten übrigens unter anderem auch Gefangene auf Pfählen.

Will sagen, dass offenbar durch die dünne Haut von Kultur, von Kultivierung und Zivilisation immer wieder archaisches Gewaltpotential hervorbricht, das man doch eigentlich überwunden glaubte. Daher konfrontiert der endlose, sich immer wiederholende Reigen der Gewalt, der da aus der Tiefe des Brunnens hervorscheint, uns im Grunde auch mit unserer eigenen Gewalttätigkeit.
Back