Neu-Besetzungen, Alexandra Karentzos

Ironisierungen des Okzidentalismus in der Kunst Parastou Forouhars, Vortrag, 2008
Die gegenwärtige hegemoniekritische Diskussion wird nicht nur wissenschaftsintern geführt, sondern gerade auch durch künstlerische Arbeiten angeregt. Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Diskursfeldern der postkolonialen und der Gender-Theorien sowie der Kunst liegen unter anderem darin, dass im Sinne strategischer Interventionen und politischer Positionierungen Identitätssetzungen hinterfragt werden. Insbesondere die zeitgenössische Kunst setzt sich im Zuge der Globalisierung und der postkolonialen Debatten mit den Konstruktionen des okzidentalen Selbst auseinander und unterläuft sie.

Am Beispiel Parastou Forouhars soll gezeigt werden, wie heutige Kunst sich Symbole kultureller Identitätssetzung spielerisch aneignet und umcodiert. In meinem Vortag ziehe ich in erster Linie bisher unveröffentlichtes Bildmaterial einer Performance in der Villa Massimo (Rom) heran. Forouhar ‚besetzt‘ bei dieser Aktion mit einem Tschador und anderen islamisch codierten Attributen Rom als arkadischen Kunstort des Abendlandes buchstäblich neu: Durch Techniken der ‚Entstellung‘ und ‚Verfremdung‘ von Kultur treffen ihre Arbeiten einen empfindlichen Punkt in der Konstruktion des abendländischen Eigenen. Der Historismus der so genannten Deutschrömer, auf den sie sich beziehen, diente schließlich dazu, eine geschichtlich verbürgte, angesehene Identität des Okzidents zu konstruieren.

Ziel des Vortrages ist es, solche künstlerischen Projekte auf ihren spezifischen Beitrag zur Hegemoniekritik hin zu untersuchen und sie damit in den Kontext heutiger postkolonialer und gendertheoretischer Debatten zu stellen.

Zunächst aber ist ein Exkurs erforderlich, um zu berücksichtigen, wie Rom als Kontext der Performance mit der Semantik des Okzidentalismus aufgeladen ist.

Rom als utopischer, arkadischer Ort
Die Performance fand 2006 an der Deutschen Akademie Villa Massimo in Rom statt, an der Forouhar einen einjährigen Stipendienaufenthalt verbrachte. 

Seit Ende des 18. Jahrhunderts vergaben die Akademien nach dem Vorbild des französischen Prix de Rome als höchste akademische Auszeichnung den so genannten Rompreis, ein Reisestipendium nach Italien, um die historische Betrachtung der kanonisierten Monumente und Plätze, die zu den „klassischen“ Stätten der Bildung und der Kultur des Abendlandes gehörten, vor Ort zu ermöglichen – ganz in der Tradition der klassischen Bildungsreise, der „Grand Tour“, die zur Ausbildung des adligen Nachwuchses gehörte und für den humanistisch gebildeten obligat war. Sie führte traditionellerweise über Frankreich nach Italien und nach Rom, um an den fremden Höfen Etikette und Weltgewandtheit, aber auch klassische Bildung zu erwerben. Auch die bürgerliche Reise strebt Bildung und Wissensaneignung an, die durch „authentisches“ Sehen vor Ort erworben wurde. Ziel waren zum einen die antiken Ruinen sowie die Kunstwerke der Renaissance und des Barock und zum anderen für Pilgereisende der Petersdom als Zentrum der christlich-katholischen Macht.

Gerade in Rom formierten sich im 19. Jahrhundert Künstlergruppen, wie etwa die Nazarener (auch Lukasbrüder genannt) oder die so genannten Deutschrömer, zu denen auch der Maler Anselm Feuerbach gehörte:
„Hätte ich aus Feigheit Rom aufgegeben, wo sollte ich jetzt meine Göttergestalten hernehmen?“

In diesem Zitat wird deutlich, dass Rom für den Historismus gleichsam mit dem Heiligsten der abendländischen Kunst besetzt ist. Rom stellt für den Historismus des 19. Jahrhunderts einen „Topos“ im wahrsten Sinne des Wortes dar. In Italien werden Versatzstücke aus vergangenen Epochen eklektizistisch gesammelt und als Kulturgüter ausgestellt:
„Die Beute wird, wie das immer so üblich war, im Triumphzug mitgeführt. Man bezeichnet sie als Kulturgüter,“ um mit Walter Benjamin zu sprechen.

Rom als „urbs aeternae“, als „Ewige Stadt“, soll die Kontinuität geschichtlicher Größe verbürgen.

In diesem geographischen, aber auch ideellen Umfeld ist die Villa Massimo zu verorten. Sie wird 1910 von dem Mäzen Eduard Arnhold als Künstlertreffpunkt gestiftet: „Die Villa Massimo war ein eleganter kunsthistorischer Themenpark, den der Gründer als einen Ort der humanistischen Erziehung verstanden wissen wollte“, so Niklas Maak. Das historistische Hauptgebäude zitiert die italienische Renaissance-Architektur und steht inmitten eines großen alten Parks, was „die Gäste von 1913 an im Park der Villa Massimo zu sehen bekamen, war vor allem eine deutsche Sehnsuchtsprojektion, ein Potpourri der Hits des deutschen Bildungsbürgertums: Renaissancetore von Gutshäusern der römischen Campagna, im Park Statuen, die von den Gräbern der Via Nomentana stammen; und von den Toren römischer Kardinalspaläste bis zu den Quaderbögen barocker Villen war hier alles verbaut, was vorangegangene deutsche Künstlergenerationen in Italien immer wieder gemalt hatten.“

Nach der Fertigstellung 1913 schenkte Arnhold die Villa Massimo dem preußischen Staat, so dass die „Deutsche Akademie“ entstand, als kultureller Repräsentationsort Deutschlands in Italien.

Der Utopos Rom bröckelt
Dass der Topos der „Ewigen Stadt“ seinerseits nicht ewig ist, zeigt sich angesichts der künstlerischen Auseinandersetzung im 20. Jahrhundert. Wie unter anderem Peter Gendolla feststellt: „Am Ende einer langen Tradition literarischer Italienbilder werden vom Süden keine arcadischen Idyllen mehr gezeichnet, stehen vielmehr die negativen Phantasien Thomas Manns oder Wolfgang Koeppens, wirft Rolf Dieter Brinkmann seine Blicke auf Rom als einen einzigen verdreckten Müllhaufen.“ Letzterer gewann seine Eindrücke übrigens 1972 ebenfalls als Stipendiat der Villa Massimo. „Im Unterschied zu Tausenden Italienreisender ist er nicht aus eigenem Wunsch in Rom. Es gab Geld von der Stiftung, das ist alles. Außer ein paar Vokabeln versteht er kein Italienisch und ist auch aus diesem Grund auf die Blicke, die sein aus dem Nachlaß publiziertes Buch bereits im Titel annonciert, als zentrales Wahrnehmungsmedium angewiesen“, so Gendolla. Rom hat in diesem Kontext längst dystopische Züge erhalten. Dennoch arbeiten sich die Künstler am Gespenst des Utopos Rom ab: „man müßte es wie Goethe machen, der Idiot…“, um mit Rolf Dieter Brinkmann zu sprechen.

Die Performance
Bei Forouhar erfährt diese Kritik an dem kanonisierten Kulturkonzept eine Zuspitzung: Nicht kulturelle Vermessenheit allgemein wird ins Visier genommen, sondern spezifische Ausprägungen des Okzidentalismus (im Sinne Fernando Coronils als Euro- und Ethnozentrismus verstanden). Die Künstlerin beweist bei der Performance, dass sie buchstäblich keine Berührungsängste im Umgang mit den Kulturgütern hat. Die Performance besteht aus mehreren Teilen: Das Spiel beginnt mit den Skulpturen im Parks der Villa Massimo: Dem Repräsentanten des preußischen Staates Kaiser Wilhelm I., dessen Monarchie durch das Gottesgnadentum legitimiert wurde, legt Forouhar den Tschador an. Gleichsam pygmalionisch wird die Büste zum Leben erweckt, indem eine Hand – offensichtlich aus Fleisch und Blut – aus dem Umhang hervorkommt. Durch den Schleier, der als visuelles Zeichen für islamische Weiblichkeit gilt, spielt Forouhar 1. mit der Geschlechterrhetorik, 2. mit der religiösen Codierung sowie 3. mit nationalen Zuschreibungen. Indem Körper mit dem Schleier bekleidet werden, sind sie kulturell codiert, die Körperlichkeit wird nach Kaja Silverman darüber territorialisiert und als „orientalisch“ gekennzeichnet. Damit steht der Schleier in deutlichem Kontrast zum Preußen-König, dessen Männlichkeit an seinem Schnurrbart noch erkennbar ist. Zugleich aber ruft die Kombination von Schleier und Sonnenbrille, die die Augen der Figur verdeckt, stereotype Bilder des reichen Scheichs auf, zumal der Schnurrbart im arabischen Kontext eine besondere Rolle spielt. Ähnlich wie im Film „Lawrence of Arabia“ aus dem Jahr 1962 wird die Männlichkeit aber prekär: Die Figur ist feminisiert. Ich beziehe mich hier insbesondere auf zwei Aufsätze von Marjorie Garber „The Chic of Araby“ und Kaja Silverman „ White skin, brown masks“, die aber vor allem auf die literarische Vorlage eingehen, auf die sich der Film bezieht. Ich meine die Szene, in der Lawrence in einem weißen Gewand erscheint: Die weiße Tracht aus edlen Stoffen ist das arabische Gewand des Bräutigams. Für westliche Betrachter erfährt diese aber eine Transformation: mit dem weißen Gewand und überdies mit dem Schleier verbunden wirkt er wie eine Braut. Im Roman vergleicht sich Lawrence selbstreferentiell bereits mit einer Braut in weißer Seide – Es findet eine Art Cross-Dressing statt. Dieses Changement ist vergleichbar mit dem verschleierten Kaiser Wilhelm. 

Der Schleier, mit dem die Madonnenfigur bedeckt ist, betont die religiöse Dimension. Auf dem leuchtend roten Schleier, der sich um die Madonna mit dem Kind legt, erkennt man persische Schriftzeichen. Gewöhnlich werden die Stoffe für schiitische Trauerzeremonien verwendet. Es handelt sich um grellbunte Massenware. Ist man des Persischen mächtig, erkennt man die Totenklage um den schiitischen Märtyrer Imam Hossein. Zu lesen ist dann beispielsweise: „Dieser König ohne Armee begleitet von Tränen und Trauer, die Wunden an seinem Körper sind zahlreicher als die Sterne am Himmel… Dieser Fisch, untergegangen im Meer von Blut, ist dein Hossein…“ Wer des Persischen nicht mächtig ist, sieht vor allem das Ornamentale, den Farbenrausch und die Schwingungen der Schrift. Die Stoffe stehen für zweierlei: einerseits für einen vermeintlich archaischen Kultus, anderseits für eine moderne Religion. Waren die Stoffe traditionell in Grün, Weiß, Rot und Schwarz, nehmen sie nun poppige Neonfarben an. In der Kombination des shiitischen Stoffes mit Maria und dem Christuskind werden diese vom christlichen Symbol zum islamischen umcodiert: Christus gilt im Islam als Prophet und auch Maria/Maryam hat eine Sonderstellung im Koran inne, auf die ich hier nicht näher eingehen kann.

Auch in den zur Parkanlage gehörenden klassizistisch-romantisierend anmutenden Brunnen dringt die Künstlerin ein. Forouhar, verhüllt im Tschador, schwimmt mit Taucherbrille und Schnorchel, umrahmt von den grellfarbenen shiitischen Tüchern, im Brunnen. Durch den Schleier und die Stoffe wirkt sie selbst ornamental, eher wie ein Mantarochen. Forouhar ist buchstäblich ein Fremdkörper im Becken. Aufgerufen wird nicht zuletzt der in Deutschland stark diskutierte Kopftuchstreit, bei dem es auch um die Problematik der Verhüllung muslimischer Mädchen bei sportlichen Aktivitäten ging. 

Der Tschador im Wasser transfomiert den menschlichen Körper zu einer gleichsam tierischen Pelle. Die Figur erscheint hier eher wie eine Robbe, so dass sowohl sexuelle wie auch kulturelle Zuschreibungen geradezu ins Schwimmen geraten. 

Ein ähnlich ironisches Spiel mit Differenzen treibt Forouhar in der Perfomance und Fotoserie Swanrider auf der Lahn von 2004: Eine Frau im schwarzen Tschador, erkennbar als die Künstlerin, reitet auf einem riesigen weißen Schwan auf einem Fluss. Indem Forouhars Werk in seinen vielfältigen Bezügen auf Mythen vom Urgermanischen (Lohengrin) und vom Griechischen (Leda), als so genannter Wiege der europäischen Kultur lesbar ist, greift es wiederum ein Sinnarsenal auf, mit dem die westliche Gesellschaft ihr Eigenes konstruiert und definiert, das heißt abgrenzt. Dieses Terrain des ›Eigenen‹ wird von Forouhar ironisch besetzt.
Es ergeben sich während der römischen Performance permanent neue Assoziationen und Anspielungen. Wenn der Künstler und Komponist Oliver Schneller, der 2006 ebenfalls Stipendiat der Villa Massimo war, mit auftritt, erscheint die Bewegung eher wie ein Tanz. Durch das Stirnband, das aus den bunten shiitischen Stoffen ist, wirkt er wie ein Untergrundkämpfer und bekommt dadurch zugleich auch einen bedrohlichen Zug.

In einer weiteren Performance im Park der Villa Massimo führt Forouhar zusammen mit Oliver Schneller das Verwirrspiel weiter aus: Hier werden auch aus Hollywoodfilmen bekannte Vespa-Fahrten berühmter Paare wie Gregory Peck und Audrey Hepburn in „Roman Holiday“ aus dem Jahr 1953 zitiert und konterkariert. (Ich zeige hier das Cover der DVD). Der Vespa-Ritt Forouhars findet aber im Tschador statt, den sowohl die Frau als auch der Mann trägt, so dass die Geschlechtercodierungen wieder spielerisch in Bewegung geraten. Das goldene Motorrad ist überdies mit persischer Farsi-Schrift ornamental dekoriert. Die Vespa (klassischerweise von Piaggio) gehört geradezu zum Stadtbild einer italienischen Metropole. Das italienische Symbol wird bei Forouhar kulturell umkodiert und umbesetzt.
In diesen Performances geht es insbesondere um das Potential der Kunst, die performative Konstruktion von Geschlecht und Nation bzw. kultureller Symbole vorzuführen. Das Augenmerk richtet sich somit darauf, inwiefern die Performances Performativität thematisieren. Die Kunst reflektiert auf diese Weise – in der Tradition der Body Art – die Herstellung von Geschlecht und bei Forouhar überdies die Konstruktion des Okzidentalismus. Nicht von ungefähr nimmt wiederum die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Begriff der Performativität Bezug auf Theatrales. Butlers Begriff der Performativität von Geschlecht impliziert bekanntlich eine theatrale Dimension: Nicht von ungefähr exemplifiziert sie ihre Überlegungen am Beispiel der Drag Queens, die ihre Inszeniertheit vorführen. Butler betont allerdings in „Körper von Gewicht“, dass die alltägliche Performativität nicht etwa auf das Theatrale zu reduzieren ist. Aber gerade weil eine solche theatrale Dimension bei der alltäglichen Konstitution von Geschlecht und auch von Nation zumindest impliziert ist, kann sie in der Kunst zur Kenntlichkeit entstellt werden.

Forouhar besetzt den Ort, der bereits am Eingang als „Deutsche Akademie“ markiert ist, somit durch die theatrale Geste neu. Die Verbindung von deutschem Staat und Kunst ist in der Villa Massimo auf verschiedenen Ebenen präsent: zum einen in der Fortschreibung deutscher Kunstgeschichte in Italien, zum anderen in der staatlichen Kunstförderung, die durch Besuche des Bundespräsidenten in der Villa immer wieder in Erinnerung gerufen wird.
Forouhar übertreibt in ihren Performances die kulturellen Zuschreibungen und markiert so deutlich die Differenz von Orient und Okzident, dass sie als Konstruktion vorgeführt wird.

Im Ergebnis lässt sich Forouhars Umstülpung kultureller Identitätssymbole, die den Okzidentalismus buchstäblich ins Zentrum, nämlich in Rom trifft, als künstlerische Strategie der Ironie beschreiben: Sie fügt das Nicht-Zusammen-Passende zusammen. Spielerisch und respektlos werden Versatzstücke der Identitätskonstruktionen wiederholt, ad absurdum geführt und damit auch ihr Geltungsanspruch in Frage gestellt.
Das Umstülpen funktioniert dadurch, dass sie als Künstlerin Subjekt der Handlung ist und sich zugleich aber als „Frau“ und „Fremde“ markiert, die klassischerweise dem Objektstatus zugeordnet werden. Forouhar hält Ordnungsregeln von Nähe und Distanz, die ästhetische Distanz zu den Skulpturen, zu den Kunstwerken – wie wir gesehen haben – nicht ein, sie bemächtigt sich auf diese Weise der Symbole des Okzidentalismus. Sie bringt die Ordnung der kulturellen und sexuellen Zugehörigkeiten durcheinander, indem sie chimärische Erscheinungsformen zusammenmontiert, erzeugt. 

Damit gehört Forouhar einem Kunstprogramm an, das sich mit Haraways Konzeption der Cyborgs vergleichen lässt. Haraway erklärt, dass Ironie von Widersprüchen handelt, die sich nicht auflösen lassen, sowie von Humor und ernsthaftem Spiel. Sie gebraucht den Begriff der Ironie, um eine Position zu markieren, die Heterogenes auf paradoxe Art verbindet und dadurch starre dichotome Strukturen unterläuft. Insofern wird auch bei Forouhar ein ironisches Spiel mit Identität getrieben, das jede ontologische Annahme von ethnischen oder sexuellen Wesenheiten hintertreibt.
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