Parastou Forouhar erhält den Gabriele Münter Preis 2025.
Die Preisträgerin erhält zusammen mit den Künstlerinnen der Shortlist im Herbst 2025 eine Ausstellung im Museum Gunzenhauser in Chemnitz.
Der Gabriele Münter Preis zielt auf die Sichtbarmachung herausragender Leistungen von zeitgenössischen Bildenden Künstlerinnen und steht im Kontext zur Gleichstellung mit Künstlern. Der Preis ist nach der Malerin Gabriele Münter (1877 Berlin – 1962 Murnau) benannt, einer der bedeutendsten Künstlerinnen der Moderne. Erstmalig wurde der Gabriele Münter Preis im Jahr 1994 im Frauenmuseum Bonn vergeben. Die 8. Vergabe wird ausgelobt von den Verbänden Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, Deutscher Künstlerbund und GEDOK – Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden.
In feierlicher Atmosphäre wurde am 10. März 2025 in der Akademie der Künste in Berlin die Künstlerin Parastou Forouhar mit dem Gabriele Münter Preis geehrt.
Die Laudatio hielt Dr. Schoole Mostafawy (Badisches Landesmuseum, Karlsruhe):
Bunt bemusterte Schmetterlinge schwärmen durch den Raum, bedecken museale Wände und Böden, lassen sich auf und in Vitrinen nieder. Schriftzeichen im persischen Duktus beschreiben Räume oder zieren in kalligraphischem Schwung herumkullernde Bälle. Weniger der Inhalt des Geschriebenen ist dabei von Bedeutung als die Schrift selbst, die zu einem Medium der Vermittlung von Tradition und Identifikation wird. Gleich, wo sich die poetische Kraft dieser Zeichen entfaltet, stellen sie das ursprüngliche Ordnungsprinzip in Frage. Im gleichen Sinn kaschieren mit Gliedmaßen und von observierenden Augen durchdrungene Tapeten die Unschuld weißer Wände, schweben rosarot ornamentierte Ballons in luftiger Höhe und etikettieren bemannte Wolkenformationen die Weite eines imaginierten Himmels.
Dem Werk der Künstlerin Parastou Forouhar scheint auf den ersten Blick eine spielerische Leichtigkeit eigen, eine sinnlich berückende Ästhetik des Alltäglichen. Erst bei näherem Hinsehen offenbaren sich unter dem Deckmantel des Dekorativen beklemmende Schreckensszenarien. In Variation breiten sie sich auf Werkgruppen aus, die von der tradierten Textilkunst inspiriert sind. Das darin gefangene Bild des Grauens erzählt von der Vielfalt angewandter Foltermethoden, ist von Aggression und roher Brutalität durchsetzt: in Reih und Glied ordnen sich stilisierte Messer, Scheren, geknebelte, gefolterte, exekutierte Leiber…
Wie beschreibt man in wenigen Worten, das Oeuvre einer Künstlerin und Schriftstellerin? Wie den Lebensentwurf einer politischen Aktivistin, einer für die Aufklärung von Unrecht Streitenden, die mit ihrem ganzen Sein bedingungslos für die Einhaltung demokratischer Werte und die Wahrung der Menschenrechte eintritt? Wie vermag man in wenigen Sätzen von dem Kampfgeist und dem Mut eines Menschen berichten, der ein Vorbild an Beharrlichkeit und Standhaftigkeit ist, ein Sprachrohr für Verstummte und eine Heimat für Heimatlose? Und wie über diese Frau sprechen, die all das mühelos in sich vereint?
In ihren Zeichnungen, Installationen, Fotoarbeiten, Objekten und Artbooks bedient Parastou Forouhar die kulturellen Stereotype des Eigenen und des Fremden, durchbricht deren falsche Lesbarkeit, indem sie nur eine geringe Abweichung von der Norm vornimmt. Ihre Werke hinterfragen kulturelle Klischees und Sehgewohnheiten, setzen sich mit Mechanismen des Fremden auseinander, ohne fremdartig zu wirken. Jenseits marktschreierischer Neo-Orientalismen in der zeitgenössischen Kunst entziehen sich ihre Arbeiten bewusst der Vereinnahmung.
In deren Fokus stehen die bildnerischen Analysen des Ornaments, mit denen ihr ein neuer Ansatz in der Kunst gelungen ist. In ihren Werken spürt sie die prekäre Schönheit in der gereihten Wiederkehr des immer gleichen Motivs auf. Überzeugend visualisiert sie, wie das Ornament einerseits Mysterium durch Gleichklang, andererseits Raster weltanschaulicher Gewalt ist. Mit analytischer und unausweichlicher Stringenz durchschaut sie seine Ambivalenz, konstatiert dem systemischen Ornament das ihm innewohnende Verbrechen und stellt es in seiner Funktion als Garanten für die Aufrechterhaltung diktatorischer Regime bloß. Ihre Arbeiten geben in unserer von humanitären Krisen geprägten Welt Denkanstöße und verorten vergangene wie gegenwärtige politische Ereignisse.
Ihre Kunst ist ein Manifest. Zu ihr gehören daher auch Dokumentationen, Archive und Aktionen politischer Natur, die um Reiseberichte ergänzt werden. Jedes Jahr im November fliegt Parastou Forouhar in den Iran, um gemeinsam mit Regimekritikern, Angehörigen von Hingerichteten, Ex-Häftlingen, Frauenrechtler*innen, Journalist*innen und Kulturschaffenden der Ermordung ihrer Eltern vor über 26 Jahren zu gedenken – stets unter Beobachtung der staatlichen Kontrollorgane, regelmäßig durch Vorladungen schikaniert, drangsaliert und gemaßregelt. Ihre Eltern, die beiden prominenten Oppositionspolitiker Dariush und Parvaneh Forouhar, wurden im Auftrag des iranischen Staats am 22. November 1998 in ihrem Haus in Teheran bestialisch ermordet. Zeitlebens waren sie für eine säkulare Demokratie im Iran eingetreten. Über viele Jahre führte die Künstlerin einen juristischen Kampf gegen die Mörder ihrer Eltern. Einmal im Jahr betritt sie die Schwelle des Unerwünschten und nagelt in dem von ihr museal verwandelten Elternhaus die Ahndung des Unrechts im kollektiven Gedächtnis fest.
Seit 1991 in Deutschland, kann Parastou Forouhar auf eine große Anzahl an Ausstellungen ihrer Werke zurückblicken. Sie ist eine Künstlerin, die Kunst-Stipendiatin namhafter Häuser war und deren Werk längst hohe internationale Anerkennung erfahren hat. Preise und Auszeichnungen ehrten sie, bedeutende Museen präsentierten ihre Werke. Internationale Beachtung fanden ihre Werke weit über den europäischen Kontinent hinaus in den USA, in Australien, in der Türkei und im Libanon oder im Rahmen von Biennalen in Russland, Süd-Korea und Taiwan.
Und im Iran selbst? Im Jahr 2002 wurde der Golestan Art Gallery in Teheran unter verbaler Drohung von oberster staatlicher Stelle geraten, ihre Ausstellung „Blind Spot“ nicht zu eröffnen. Statt die Schau abzusagen, wurden die Bilder aus ihren Rahmen gelöst und die bloße Präsentation der leeren Bilderrahmen führte zu einer der erfolgreichsten und verkaufsträchtigsten Ausstellungen in Teheran. Ambiguitäten gehören zur Gesellschaft eines autoritären Staates.
Parastou Forouhar ist Repressalien in der Islamischen Republik Iran gewohnt: 2016 wurde sie vor Gericht gezogen, weil ein Foto in den sozialen Medien die Menschenrechtsanwältin Shadi Sadr auf einem von ihr gestalteten Kunstwerk der Serie „Countdown“ zeigt: ein knallbunter Sitzsack aus applizierten religiösen Bannern des schiitischen Islam wie sie zu den höchsten Trauerfeierlichkeiten um Aschura allerorts sichtbar aufgehängt werden. Parastou Forouhar wurde der Blasphemie und Beleidigung des Sakrosankten beschuldigt. Darauf wurde eine 5-jährige Haftstrafe ausgesprochen, die man in eine 6-jährige Bewährungsstrafe umwandelte.
2022 übernahm Parastou Forouhar in Frankfurt am Main die Schirmherrschaft der Tage des Exils. In diesem Jahr schrieb sie in ihrem Reisebericht nach Rückkehr aus dem Iran: „Drei meiner Freunde [wurden] verhaftet. [Es] heißt, die Verhaftungen seien gewaltvoll verlaufen. [Diese drei stehen] stellvertretend für viele, für die das eigene Land zur Falle geworden ist, die vielleicht fliehen werden, um ihr Leben zu retten. Das Exil hat viele Gesichter und Namen. Entstehen tut das Exil aber aus solchen Momenten heraus“.
Heute verleihen wir Parastou Forouhar den Gabriele Münter Preis. Wir ehren damit eine in Deutschland lebende Künstlerin iranischer Herkunft, deren Werke vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit Repression und Exil ein Spiegel ihrer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit Macht, Identität und kultureller Erinnerung ist. In Zeiten, in denen Debatten über Menschen mit Migrationshintergrund diese in Bedrängnis bringen und sich fremd im eigenen Land fühlen lassen, regt die Verleihung dieses Preises an innezuhalten.
Parastou Forouhar erhielt in Deutschland die Chance, ihre Projekte zu realisieren, als Co-Kuratorin und Dozentin tätig zu werden, in Reportagen und Interviews ihre Meinung zu äußern, Aufklärungsarbeit zu leisten. Und sie schenkte der Gesellschaft, die sie aufnahm, das Vielfache zurück. Wir küren also mit diesem Preis eine Frau, die hierzulande auch stellvertretend für Menschen anderer Herkunft steht, ohne die dieses Land nicht so reich an Innovation, Wissen und Kreativität wäre. Erinnern wir uns dieser Preisverleihung und an Parastou Forouhar, wenn wir wieder im Alltag dem Grausamen im Gewand des Schönen begegnen. Wehren wir uns gemeinsam gegen die zunehmende Spaltung, ja Ambiguität der Gesellschaft in Deutschland, die einst mit dem 1. Artikel im Grundgesetz einen großen humanen Leitgedanken in die Welt entsandte.