Interview mit Parastou Forouhar, Brigitte Werneburg

DB ART MAG. 56; Feature

“Man muss seine Hoffnung auf die Menschen setzen”
Der politisch motivierte Mord an ihren Eltern hat das Werk von Parastou Forouhar entscheidend geprägt. In ihren konzeptuellen Arbeiten thematisiert die iranische Künstlerin, die in der Sammlung Deutsche Bank vertreten ist, das Spannungsverhältnis zwischen einem repressiven System und dem Wunsch der Menschen nach Freiheit. Brigitte Werneburg hat Parastou Forouhar in Frankfurt getroffen.
Angesichts der aktuellen politischen Situation im Iran besitzen Parastou Forouhars Arbeiten eine besondere Brisanz. So erinnern die Motive der Tapeten, Digitalprints oder Animationen ihrer Serie Tausendundein Tag (seit 2003) an die Muster persischer Teppiche. Doch dann der Schock: Wer genau hinschaut erkennt, dass sich die Ornamente aus Folterszenen zusammensetzen. Menschen werden auf alle erdenklichen Weisen gequält, ausgepeitscht, hingerichtet. Diese Grausamkeiten hat die 1962 in Teheran geborene Künstlerin in computergenerierten Zeichnungen festgehalten. Die Strategie, zutiefst emotional aufgeladene Inhalte in einem kühlen, unpersönlichen Medium zu transportieren, ist typisch für ihre Arbeiten. Den Mord an ihren Eltern, die als führende iranische Oppositionelle 1998 in Teheran brutal erstochen wurden, verarbeitete sie in einer betont nüchternen Installation. Dokumentation macht genau das, was der Titel verspricht: Briefe, Zeitungsartikel, Fotos sowie die Korrespondenz mit Politikern und Behörden dokumentieren seit 1999 den Kampf der Künstlerin, dieses Verbrechen aufzuklären.
Auch in den reduzierten Zeichnungen ihrer Serie Schuhe ausziehen, mit denen sie in der Sammlung Deutsche Bank vertreten ist, verarbeitete Forouhar diese traumatischen Ereignisse. Sie schildert die Schikanen der iranischen Bürokratie, die sie bei dem Versuch erlebte, Einsicht in die Akten zum Mord an ihren Eltern zu erhalten. In einen schwarzen Tschador gehüllt muss sie in vergitterten Amtsstuben warten oder sich Leibesvisitationen unterziehen

Parastou Forouhar, die nach Ende ihres Kunststudiums in Teheran nach Deutschland übersiedelte, war 2001 auf der 2. Berlin Biennale und 2007 in Global Feminisms im Brooklyn Museum of Modern Art vertreten. Aktuell sind ihre Arbeiten im Rahmen von Iran Inside Out zu sehen – einer umfangreichen Bestandsaufnahme der iranischen Gegenwartskunst im New Yorker Chelsea Art Museum. Viele Künstler dieser Ausstellung werden gerade auch im Kunstraum der Deutschen Bank in Salzburg gezeigt. Dort stellt die Galerie Thaddaeus Ropac in der Ausstellung Raad O Bargh (Donner und Blitz) 17 vorwiegend junge Positionen aus dem Iran vor.

Brigitte Werneburg: Frau Forouhar, kommen Sie seit den Protesten nach den iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni überhaupt noch dazu künstlerisch zu arbeiten oder beschäftigt Sie vor allem die Situation im Iran?
Parastou Forouhar: Im Moment befasse ich mich tatsächlich viel mehr mit Politik als mit Kunst. Für die künstlerische Arbeit braucht man Zeit zur Reflektion, und die Ereignisse sind jetzt so brisant, dass es mein Hauptanliegen ist, sie zu verfolgen und wahrzunehmen.

Gärt es dabei innerlich in Ihnen, diese Ereignisse in eine künstlerische Form zu bringen?
Das kann ich so nicht sagen. Aber ich denke, ich sammle auf gewisse Art und Weise schon Material.

Ihre Arbeit “Schuhe ausziehen” hat seinen Anlass ja auch in der Realität, in Ihrem Begehren auf Akteneinsicht zum Mord an Ihren Eltern. Die Deutsche Bank hat einige der Zeichnungen für ihre Sammlung gekauft. Aber es gibt auch ein Video aus diesen Zeichnungen?
Dafür habe ich die Zeichnungen aneinandergereiht. Ich wollte unbedingt diesen Loop-Effekt haben, diese endlose Geschichte, dieses Kommen und Gehen und nichts dabei erreichen. Die Sätze, die zu jeder Zeichnung gehören, wurden dann entweder von einer Männer- oder einer Frauenstimme gesprochen, mit einer völlig sachlichen, unbeteiligten Stimme. Die Sätze sind sehr alltäglich, banal. “Ziehen Sie Ihre Schuhe aus. Ich muss sie durchsuchen.” Solche Sachen.

Da zieht es einem die Schuhe aus, wie man im Deutschen sagt, wenn man diese banale, gemeine Behörden-Schikane mitverfolgt. Haben Sie an diese Redewendung bei der Wahl des Titels gedacht?
Ja, deswegen habe ich diesen Titel gewählt. Ich finde es phantastisch, wenn etwas nicht nur in einem Kontext verstanden wird, sondern auch in einem ganz anderen, und dort vielleicht sogar erweitert wird. Für mich, die ich zwischen den Kulturen lebe und arbeite, ist das sehr wichtig.

Eine ähnliche Doppeldeutigkeit besitzt für mich Ihre Tapetenarbeit. Ich denke dabei immer an “Ornament und Verbrechen”, das Pamphlet von Adolf Loos, einem Vorreiter der modernen Architektur.
In dieser Arbeit Tausendundein Tag spielt das Ornament als ein ästhetisches Phänomen, das keine Brüche zulässt, Individualität nicht zulässt, Veränderung nicht zulässt, eine wichtige Rolle. Alles was sich dieser ornamentalen Ordnung nicht unterordnet, wird wegradiert. Es ist nicht existent und dadurch erscheint das Ornament als etwas Totalitäres. Natürlich ist das Ornament nicht darauf zu reduzieren. Aber meine Herangehensweise an das Ornament bezieht sich auf diesen totalitären Aspekt, den ich aufzeigen will. Es geht um ein System, das die Freiheit des Individuums radikal einschränkt und einem seine Macht einfach überall aufzwingt.

Das Ornament Ihrer Tapete zeigt aber auch ganz konkrete Verbrechen, nämlich Folterpraktiken.
Genau. Und da ist es wichtig, dass es sich bei der Tapete, die dem viel größeren Werkkörper Tausendundein Tag angehört, um digitale Zeichnungen handelt, die am Computer entstanden sind, während die Serie Schuhe ausziehen aus Handzeichnungen besteht. Beide Herangehensweisen haben ihren Ursprung in der politischen Situation. Die eine Arbeit beschäftigt sich mit staatlicher Folter, der man total ausgeliefert ist. Die andere mit den Schikanen der Bürokratie. Deshalb ist bei Schuhe ausziehen die Spontaneität der Handzeichnung ein wichtiges Element. Gegen die Bürokratie kann man noch, auch wenn im Resultat erfolglos, Eigensinn ins Spiel bringen.

Das Ornament ist tatsächlich eine gute Allegorie für ein totalitäres System.
Exakt. Und dann hat es auch diesen sinnlichen, ästhetisch ansprechenden Moment. Es schmückt und es ist schön. Es gibt also diese Ambivalenz, die man aushalten muss, in dem Moment, wo die Schönheit bricht und sich in Grausamkeit verwandelt, gerade weil die Schönheit dabei nicht verloren geht. Dieser Moment ist für mich bei der Wahrnehmung eines Kunstwerks sehr wichtig.

Dem Betrachter fällt zunächst ja nur die Schönheit auf. Der Schock ist dann umso größer, wenn er die Szenen plötzlich erkennt. Ist das gewissermaßen ein Trick, den Sie da anwenden?
In jedem Fall. Ich fordere den zweiten Blick heraus. Auf den ersten Blick sieht man das schöne Muster und denkt, ah ich hab’s verstanden, ich hab’s wahrgenommen. Und dann geht man näher und merkt, nein, das ist ganz anders, ich habe nichts verstanden. Diesen zweiten Blick herauszufordern, das ist für mich spannend. Der Betrachter wird auf sich selbst zurückgeworfen, auf seine Wahrnehmung und muss diese Wahrnehmung überprüfen.

In Berlin haben Sie zuletzt mit skulpturalen Objekten diesen zweiten und dritten Blick herausgefordert. Allerdings half da auch der dritte Blick nicht weiter, um die geheimnisvollen Schriftzeichen zu entziffern, die in prachtvoller Stickerei auf dem glänzenden Seidenstoff prangten.
Bei Countdown handelt es sich um Sitzsäcke. Sie sind sehr bequem und einladend. Daher ist es sehr schwierig, wieder aus ihnen aufzustehen. Sie fangen einen ein. Aber das wird dann durch die Stoffe mit den Texten gebrochen. Ich habe sie in Teheran gekauft. Es sind religiöse Banner, die normalerweise während der Ashura-Zeremonie aufgehängt werden. Das ist die Trauerzeremonie um den dritten Imam, auf den der gesamte Märtyrerkult zurückgeht. Die Banner mit ihren religiösen Versen sehen sehr schön ornamental und orientalisch aus. Es ist diese exotische Falle, die weiterhin wirksam ist, die uns anzieht, die aber voller Aspekte steckt, die wir nicht richtig wahrnehmen. Ich habe mit diesem Stoff auch Bürostühle bezogen. Ich übersetze diese Schriftzeichen, damit man weiß, wovon sie handeln. Mich fasziniert, welche Verwandlung diese Stoffe durchgemacht haben, wenn man die dreißig Jahre überblickt, die die Islamische Republik jetzt schon existiert. Früher waren sie schwarzweiß, vielleicht signalfarben, also rot oder grün. Und jetzt sind sie total bunt, popfarben. Es passiert eine Vermischung von Popkultur und Religiosität, wie wir es auch anderswo beobachten. Nur ist es nicht so brisant, wenn der Papst nach Deutschland kommt und er wird in einem Hybrid aus Loveparade und Kirchentag gefeiert.

Wie kommt es zu dieser Entwicklung? Braucht es Popästhetik um attraktiv zu sein, oder ist sie einfach so übermächtig, dass man sich ihr nicht entziehen kann?
Ich denke, es ist beides. Man kann sich ihr nicht entziehen, und das wird dann auch bis zu einem gewissen Grad toleriert. Zum Beispiel wurde es in der Islamischen Republik irgendwann einmal beliebt, die Porträts der zwölf Imame zu malen. Im Lauf der Zeit mutierten die dann immer mehr zu indischen Schauspielern. Sie sahen wirklich aus wie Shahrukh Khan und Bollywood, mit sinnlichen, vollen Lippen, Schlafzimmerblick, dicken Augenbrauen und seidigen Haaren. Diese Porträts wurden als Gemälde, als Poster oder auch Buttons verkauft, und wurden immer schöner. Irgendwann merkte das Regime, dass etwas schief lief, dass es so nicht geht und dann haben sie diese Bilder verboten. Sie haben ein Ikonenverbot erlassen, selbst bei den Trauerzeremonien um den dritten Imam darf man sie nicht zeigen. Gleichzeitig nutzt das Regime auch diese Entwicklung. Wenn man sich den Wahlkampf von Ahmadinedschad anschaut, die Wahlkämpfe allgemein, dann sieht man, wie farbenfroh sie geworden sind, mit all den vielen Bildchen …

Wird es katholischer in der Islamischen Republik?
Es wird immer poppiger. Interessant sind auch die religiösen Gesänge. Die klingen inzwischen wie Rap. Sie sind voll von Takten, die gar nichts mehr mit den traditionellen Gesängen zu tun haben. Sie sind voller Ekstase, sehr körperbetont, sehr weltlich.
Mit katholisch meinte ich, dass unter den monotheistischen Religionen die Bilder- und Inszenierungsfreude beim Katholizismus am frühesten und am ausgeprägtesten da war. Deshalb scheinen andere Religionen, wenn sie Bilder und Rituale jetzt mehr und mehr betonen, zwangsläufig katholisch zu werden.
Das erinnert mich an eine Arbeit, die ich in Rom gemacht habe. Ich war 2006 Stipendiatin der Villa Massimo und habe dort eine Sache entdeckt, die für mich der Höhepunkt der Absurdität ist. Es gibt da nämlich einen Laden, der Lutscher verkauft, darunter auch große Lutscher mit der Figur von Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Das hat mich zu einer Fotografie angeregt, bei der ich in der Pose der Madonna auf einer Säule stehe – allerdings trage ich einen schwarzen Tschador – und Benedikt XVI. ablecke.

Apropos Tschador. In der letzten Zeit musste ich öfter an Ihre Fotoarbeit “Blind Spot” denken. An diese Männerglatzen, umhüllt von einem Tschador, den ja sonst nur Frauen tragen. Denn mir scheint, die Opposition, die jetzt auf die Straße geht, ist weiblich, während die Verteidiger des Regimes und des Tschadors männlich sind. Teilen sie diese Beobachtung?
Eine in Berlin lebende iranische Feministin hat dazu einmal den sehr schönen Satz gesagt, da die Islamische Republik eine sehr männliche Struktur und Organisation habe, nehme die Opposition automatisch feminine Züge an. Die jüngere Generation der Männer in der iranischen Gesellschaft unterscheidet sich stark von ihrer Vorgängergeneration. Sie pochen nicht mehr auf diesen traditionellen männlichen Charakter. Sie haben das satt.

Eine ganz wichtige Ihrer Arbeiten ist “Dokumentation”, die Auskunft gibt über Ihre Recherchen zur Aufklärung der Hintergründe des Mordes an Ihren Eltern. Durch die aktuellen Ereignisse ist das wieder höchst aktuell. Ihr Vater war als Gegner des Schah-Regimes ja zeitweise ein Weggefährte von Chomeini. War er religiös oder war Religion eher Medium postkolonialistischer Politik?
Mein Vater saß 14 Jahre seines Lebens in den Gefängnissen des Schahs, als Demokrat. Er war vielleicht religiös, in dem Sinn, dass man an Gott glaubt. Aber seine politischen Ideen basierten nicht auf dem Glauben. Während der Revolution ging es tatsächlich um die Unabhängigkeit des Landes, um persönliche Freiheit und um soziale Gerechtigkeit. Das waren die drei Ziele der Revolution. Mein Vater war dann unter Chomeini sechs Monate Arbeitsminister und später Staatsminister. Nach den ersten Parlamentswahlen in der Islamischen Republik trat mein Vater von seinen Ämtern zurück, weil er schon damals Wahlfälschungen beklagte.

Der heutige Tag mit dem Freitagsgebet von Rafsandschani muss für Sie ein sehr merkwürdiger sein. Denn es besteht ja der begründete Verdacht, dass er der Drahtzieher des Mordes an Ihren Eltern war. Und jetzt im Juli 2009 ist er sozusagen … die Figur der Rettung?
Na ja, man muss die Hoffnung auf die Menschen setzen. Sie haben Präsenz gezeigt, sie haben sich wunderbar platziert, weltweit. Die ganze Welt hat gesehen, dass diese Gesellschaft nicht auf Ahmadinedschad und seine Hassreden zu reduzieren ist. Ich setze auf diese Gesellschaft und denjenigen, die diese Gesellschaft punktuell unterstützen, bleibt man trotz aller Vorbehalte für den Moment dankbar. Das gilt aber nicht für die Person Rafsandschani. Er ist einer von denen, die immer mit der Welle gehen, und denen spricht man manchmal viel mehr Macht zu, als sie haben.

Sie reisen ja jedes Jahr am Todestag Ihrer Eltern nach Teheran und feiern dort eine Gedenkzeremonie. Werden Sie auch dieses Jahr am 21. November wieder nach Teheran fahren? Es wird in diesem Jahr sicher gefährlicher sein als je zuvor?
Es ist schon seit einigen Jahren sehr riskant. Seit fünf Jahren haben wir schon keine Genehmigung mehr für diese Gedenkfeier bekommen. Sie wurde für illegal erklärt. Aber wir beharren auf unserem Recht und kündigen das an. Dann kommen die Sicherheitskräfte ganz früh am Morgen und verbarrikadieren die Straße. Sie stellen Kameras auf und kappen das mobile Funknetz in unserem Viertel. Wir dürfen das Haus nicht verlassen und umgekehrt darf auch niemand zu uns kommen. Das geht seit 5 Jahren so. Es ist ein Zeichen des Widerstands, das auf meinen Schultern liegt.

Aber dieses Jahr gibt es mehr Protestpotential in Teheran als in den Jahren zuvor. Es könnte sein, dass die Leute kommen und sich nicht mehr davon abhalten lassen, bei der Gedenkfeier dabei zu sein.
Das wäre schön. Das war über die ganzen Jahre mein Anliegen. Die Leute, die bislang nicht durchkamen, die wussten ja, dass ich da war. Es geht um dieses Zeichen. Und deshalb werde ich auch dieses Jahr da sein, auf jeden Fall.
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