Laudatio; Sophie von La Roche-Preis, Schoole Mostafawy

Am 9. März 2012 wurde im Haus der Stadtgeschichte in Offenbach der Sophie von La Roche-Preis für die Gleichberechtigung von Frauen der Stadt Offenbach verliehen. Eine Vergabejury hatte sich im November vergangenen Jahres einstimmig für die Künstlerin und Exiliranerin Parastou Forouhar entschieden. Mit dieser Auszeichnung ehrte die Stadt den Einsatz der international anerkannten, in Offenbach lebenden Künstlerin und Autorin Parastou Forouhar für Frauen- und Menschenrechte.
Neben dem Grußwort der Bürgermeisterin Birgit Simon und der Überreichung der Urkunde durch Stadträtin Marianne Herrmann kam die Kunsthistorikerin Dr. Schoole Mostafawy  als Laudatorin mit dem folgenden Beitrag zu Wort:

Es gibt Momentaufnahmen vom Leben eines Menschen, die dessen Wesen für den Außenstehenden erfassen, die unterschiedlichen Facetten seiner Persönlichkeit für einen kurzen Augenblick erahnen und ihn im Vergleich zu anderen einzigartig werden lassen. Stellvertretend für vieles, was man an den Anfang einer Laudatio über die Person Parastou Forouhar, über ihre Vita und ihr künstlerisches Oeuvre setzen könnte, möchte ich mit der Wiedergabe einer eben solchen, ihr Wesen für mich beschreibenden Momentaufnahme beginnen.

Ende Januar dieses Jahres führte der ZDF-Sender „aspekte“ anlässlich der Neuerscheinung des Buches „Das Land, in dem meine Eltern umgebracht wurden. Liebeserklärung an den Iran“ ein Interview mit der Autorin Parastou Forouhar. Nicht zum ersten Mal sprach sie vor laufender Kamera über die Rolle ihrer Eltern als Oppositionspolitiker im Iran, über deren brutale Hinrichtung durch den iranischen Geheimdienst im Jahr 1998 und die anschließenden Vertuschungspraktiken der Regierung bei der Aufklärung dieser Morde. Auf die Frage der Reporterin, ob sie sich vor über 13 Jahren von ihren Eltern habe verabschieden dürfen, berichtet sie – wie so oft – von dem Tag, an dem sie in den Räumen der Teheraner Gerichtsmedizin entgegen der offiziellen Bestimmungen und trotz autoritären Gehabes der Umstehenden darauf bestanden hatte, nicht nur die Übergabe der Leichen schriftlich zu quittieren, sondern auch ihre bestialisch zugerichteten Leiber mit eigenen Augen zu sehen; wie sie nach langem Warten durch einen engen Hinterhof zu einem Transporter mit geöffneten Türen und zwei Rollliegen geführt worden war und in Anwesenheit einer verschleierten, rüde herumwerkelnden Frau Schicht um Schicht die alten Laken und Decken beiseite geschoben hatte, die den mutwillig zerstörten Leib der Mutter verhüllten. All dies erzählt sie fast tonlos, ohne jede Theatralik oder bemühtem Pathos, stets auf jene Objektivität bedacht, die erst das Erzählte zu einem Dokument der Zeitgeschichte werden lassen. Ungeachtet ihrer persönlichen Gefühle in jenem bitteren Moment, in der die Kenntnis vom Geschehen zur Erkenntnis wurde, führte sich Parastou Forouhar die von unzähligen Messerstichen aufgeschlitzten Brustkörbe und die von Wunden übersäten Körper ihrer Eltern vor Augen, ungeachtet der stets in ihr aufs Neue aufbrechenden Wunde vergegenwärtigt sie sich durch die Form der Nacherzählung das Unfassbare auch heute: Nicht nur, weil sie ihren eigenen Worten nach meint, den Toten Zeugnis zu schulden, sondern auch um den Lebenden immer und immer wieder davon berichten zu können. Was als Beleg für die Nachwelt und als Aufruf zur Ahndung eines Unrechts an die Menschlichkeit gedacht ist, bricht an dieser Stelle der Erzählung jäh ab. Ein kurzer Moment der Sprachlosigkeit, in dem das Biografische die Berichterstatterin überwältigt und der persönliche Schicksalsschlag zu einem Bestandteil einer nie verjährenden oder an Pein abnehmenden Gegenwart wird, dessen unerträgliche Schwere sich tief in ihr eigenes Gedächtnis, in das des Zuhörers und letztlich das des Kollektivs einnistet. Mit von Tränen verschleiertem Blick und erstickter Stimme erklärt sie sodann: „Ich sah die von Messerstichen zerstörten Körper. Und diesen Anblick werde ich nie vergessen. Meine Mutter hatte keine Brust mehr. Die Brust einer Mutter – das ist der heiligste Ort für ein Kind“. 

In ihrem Buch schildert sie diesen Augenblick mit der gleichen berührenden Intensität: „Ich kann den Anblick dieser Körper nicht in Worte fassen, sie auch nicht zeichnen. Wann immer ich mich an das Gesehene erinnere, überkommt mich eine Stummheit, und der Sog dieses kargen Bildes, hinterlassen von einer tollwütigen Zerstörung, zieht mich in sich hinein. Ich kann nur mich selbst beschreiben – den Abgrund in mir und meinen vormals glücklichen Blick, der in den Löchern der Wunden erblindete“.

Die Wahl der Metaphern und die sich selbst gegenüber unbarmherzige, anderen gegenüber als politisch motivierter Appell dienende Wiederholung des Erlebten: das sind Aspekte der Persönlichkeit Parastou Forouhars. Die poetische Kraft der Worte, die das Verbrechen be- und umschließen, als ob sie das Grauen in einen zarten Kokon aus Liebe hüllen wollten: das ist eine weitere Facette ihrer Persönlichkeit. Als „einen Abriss“ nicht als Abschied bezeichnet sie dann auch den letzten Blick auf ihre Eltern. Dieser Abriss markiert zugleich den Wendepunkt in ihrem Leben. Fortan wird die dem Iran wesensimmanente bizarre Verbindung von grenzenloser Verachtung und ewiger Liebe sowie das eigenartige Durchdringen von Brutalität und Ästhetik ihr Leben und Werk bestimmen.

Um dies im Vorgriff auf eine Stellungnahme zu ihrem Oeuvre an einem Beispiel festzumachen, sei ihre jüngste, siebenteilige Serie Papillon Collection (Digitalzeichnungen, 2010) angeführt. In die geschmeidig zarte Form eines Schmetterlings eingebunden, offenbart sich dem Betrachter ein Schreckensszenario, das von der Vielfalt der im Iran angewandten Foltermethoden, von Aggression und roher Brutalität durchsetzt ist. Geknebelte, Geknechtete und mit Blut überströmte Leiber, hinter Gittern Eingesperrte oder in Apathie Verfallene, auch Selbstgeißler, die zum festen Bestandteil des gesellschaftspolitischen, schiitisch gefärbten Alltags in der Islamischen Republik gehören. Jeder dieser Schmetterlinge, mit von ornamental aufgefassten Regimeopfern spiegelsymmetrisch gefüllten und sie konturierenden Flügeln trägt einen Titel, der ein historisch bedeutsames Ereignis in der jüngsten Geschichte Irans anzeigt. Der gewaltsamen Zerschlagung der „Grünen Bewegung“ nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen 2009 sowie der Einsperrung ihrer friedlich demonstrierenden Akteure in die berüchtigten Gefängnisse Ewin und Kahrizak widmen sich die letzten Exemplare der „Papillon“. Die in der mystischen Dichtkunst Persiens als hingebungsvoll und bis zum Opfertod liebend gepriesenen Falter verwandeln sich durch diese Art der Ornamentierung in erstaunlich ästhetisch anmutende Artefakte. Von den Schmetterlingen versinnbildlicht werden die alte Kultur Persiens, seine hohe Dichtkunst und die Erinnerung an Heimat, Geborgenheit und Mutterliebe (Schmetterling heißt im Persischen Parwaneh, der Vorname von Parastous Mutter). Doch im Gegenzug zu diesen positiv besetzten Assoziationen wird bei näherer Betrachtung der Forouharschen Insekte klar, dass nichts als das Grauen die schönen Geschöpfe gezeichnet hat.

Wir sind heute zusammengekommen, um Parastou Forouhar zu ehren und mit dem „Sophie von La Roche-Preis für die Gleichberechtigung von Frauen“ der Stadt Offenbach auszuzeichnen. Eine Frau, die mit außerordentlichem Mut jedes Jahr anlässlich des Todestages ihrer Eltern in den Iran fliegt, um dort im November des Jahrestages ihrer Ermordung zu gedenken. Anfangs an öffentlichen Versammlungsorten im großen Kreis, heute in den Räumen des Elternhauses, wo Parwaneh und Dariush Forouhar politisch wirkten und zugleich der Ort, an dem sie einem durch den iranischen Geheimdienst regelrecht inszenierten Ritualmord zum Opfer fielen. Diese örtliche Verlagerung der ihr von Rechtswegen zustehenden Trauerfeier ins Private entspricht keineswegs ihrem Wunsch. Vielmehr zitieren sie die staatlichen Geheimdienste seit einigen Jahren zu sich, verbieten ihr aus Angst vor der Zusammenkunft von Regimegegnern, unter Androhung von vermeintlich unabsehbaren Folgen das Abhalten einer öffentlichen Versammlung und zwingen sie zum Hausarrest. Unbeirrt davon reist Parastou Forouhar nach Teheran, stattet den beinahe schon obligatorischen Besuch bei dem iranischen Informationsministerium ab und bezieht das mit schönen und bitteren Erinnerungen beladene, wie eh und je unter staatlicher Überwachung stehende Elternhaus, um den politisch bedingten Doppelmord durch ihre bloße Anwesenheit dem vorschnellen Vergessen zu entreißen. Am Todestag umgeben von den letzten Familienangehörigen, einem alten, ihr zu Ehren jedes Jahr aus seinem Dorf zu ihr eilenden und bei ihr verweilenden Gärtner, an den Folgetagen besucht von alten politischen Weggefährten der Eltern und Menschen, die in Gedenken an Parwaneh und Dariush Forouhar nach einer Lösung aus der politischen Misere suchen.

Wir ehren eine Frau, deren ausgeprägtes Rechts- und politisches Bewusstsein sie im Iran zu den Schaltstellen der Macht führte, die sich trotz zahlloser Repressalien und Schikanen weder abhalten ließ, zur Aufklärung der Morde unzählige Wartestunden in tristen Amtsstuben zu verbringen, mit den für die Ermittlungen zuständigen, oft uneinsichtigen Beamten zu sprechen und Einsicht in die Gerichtsakten zu nehmen noch sich mit der fadenscheinigen Verurteilung der Handlanger zufrieden geben wollte. Längst kann sie ausmachen, dass es Hintermänner gab, die diese Mordbefehle erteilt hatten und nach einer offiziellen Erklärung aus dem Jahr 1999 sogar direkt aus dem Informationsministerium stammten. Doch wurden die Drahtzieher der politischen Morde an das Paar Forouhar und weiterer in der Folge verübter Tötungsdelikte an Intellektuellen und Andersdenkenden, die als „Kettenmorde“ in die Geschichte Irans eingegangen sind, bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen, weil sie nach wie vor Immunität im System genießen.

Parastou Forouhar, deren unermüdliches Engagement bei der Aufklärung der Morde und furchtloser Auftritt gegenüber den Machthabern und Schergen des Regimes den Iranern im In- und Ausland beispielloses Vorbild ist, hat sich von der Angst um ihr eigenes Leben nie beherrschen lassen. Im Wissen darum, dass das Regime seit Jahren auf Einschüchterung setzt und sie regelmäßig, etwa durch die Verhängung von Ausreiseverboten an der Rückkehr nach Deutschland hindert, schreitet sie couragiert und mit einer gehörigen Portion Humor und Zweckoptimismus voran.

Wir sind heute auch zusammengekommen, um die Künstlerin Parastou Forouhar zu ehren, deren Werk längst hohe internationale Anerkennung erfahren hat, die seit dem Jahr 2000 Kunst-Stipendiatin namhafter Häuser in Deutschland, aber auch in Melbourne, Bombay, Rom und Istanbul war und deren Arbeiten im Rahmen von Einzel- oder Gruppenausstellungen Zeugnis sind für eine lebendige Teilhabe iranischer Künstler und Künstlerinnen an der internationalen zeitgenössischen Kunst.

Schließlich ehren wir die Bürgerin der Stadt Offenbach, die hier mit kurzer Unterbrechung seit nunmehr über 20 Jahren lebt und arbeitet. In dieser Stadt, in der sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten und ihren zwei Söhnen wohnt, schöpft sie Kraft und Zuversicht, um sowohl auf ihren Reisen in den Iran den genannten Widrigkeiten zu begegnen als auch in Deutschland die hiesige Öffentlichkeit für die prekäre gesellschaftspolitische Situation im Iran zu sensibilisieren. So folgt sie als Vortragende Einladungen in diversen Städten, schildert als Zeitzeugin, Autorin und Künstlerin ihren Blick auf den Iran und weist im Hinblick auf den Demokratisierungsprozess im Iran und die Einhaltung der Menschenrechte nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer internationalen Rückendeckung hin. Diese Forderung schließt im Sinne der Sophie von La Roche-Auszeichnung immer auch die beschnittenen Rechte der Frau in der Islamischen Republik ein, deren entscheidende Rolle in der Demokratisierungsbewegung des Iran sie nicht müde wird zu betonen, wie etwa in ihrem Vortrag anlässlich der 2010 hier in Offenbach veranstalteten Reihe zu „Iran im Umbruch – Frauen als Akteurinnen“. In Funk und Fernsehen mit Worten, genauso deutlich mittels des Mediums Bild in ihren Werken thematisiert sie die iranische Frau und im gleichen Zuge den iranischen Mann als Opfer eines von weltanschaulicher Gewalt geprägten, ausgeklügelten Ordnungssystems, das „das Besondere und Singuläre“ auslöscht. Parastou Forouhars Plädoyer in Wort und Bild gilt uneingeschränkt dem Individuum, seinem Recht auf Selbstentfaltung und Meinungsfreiheit.

Parastou Forouhar wurde 1962 in Teheran als erstes Kind von Parwaneh und Dariush Forouhar geboren. Als Tochter eines führenden oppositionellen Politikers und einer ebenso politisch engagierten Mutter war ihre Kindheit von der Abwesenheit eines regelmäßig, insgesamt 14 Jahre seines Lebens in Haft sitzenden Vaters geprägt. Der Vater, der sich bereits mit 20 Jahren für den Premierminister Mohammad Mossadegh und dessen Kampf für die Nationalisierung der iranischen Ölindustrie eingesetzt hatte, war schon als junger Student mehrfach verhaftet worden. Unter der Herrschaft des letzten Schah wurde er inhaftiert, verbannt, oft ernst oder schwer verletzt, nachdem er im Anschluss an den in die Geschichte des Landes eingegangenen Putsch gegen Mossadegh die „Nationale Widerstandsbewegung“ organisiert und damit den Widerstand gegen das Regime des Shah im großen Stil betrieben hatte. Als man ihm nahe legte, das Land für immer zu verlassen, erwiderte er, er ziehe das lebenslängliche Gefängnis einem Leben im Exil vor. 1961 heiratete er Parwaneh Forouhar. U.a. als Sprecherin der Frauen im Kongress der „Nationalen Front“ trug die Politikerin Parwaneh Forouhar, besonders in Phasen der Inhaftierung ihres Mannes, die politische Verantwortung für Parteiarbeit und Aktivitäten im Widerstand. Im Geiste eins, in der Liebe zu einem freiheitlich demokratischen Iran vereint, stand der Bund dieses Paares unter dem Stern einer gemeinsam für das Wohl der Heimat zu bewältigenden Lebensaufgabe. Selbst als 1978 ein Bombenattentat auf die Wohnung der Forouhars verübt wurde, fuhr das Ehepaar unbeirrt mit seiner politischen Arbeit fort. Parastou Forouhar war zu diesem Zeitpunkt ein junges Mädchen von gerade 16 Jahren. Ihre Mutter erlebte sie in dieser Zeit als Herausgeberin des oppositionellen Untergrund-Blattes „Nationale Front“. Nach der Revolution von 1979 wurde ihr Vater zum Arbeitsminister ernannt, ein Amt, das er nach nur einem Jahr wieder niederlegte. Die fundamentalistischen Strömungen in der Regierung, die sich bereits früh abzuzeichnen begannen und die Machtübernahme durch die Fundamentalisten vorbereiteten, zwangen beide in den Folgejahren wieder in die Opposition. Trotz Drohungen, Repressalien und erneuten Verhaftungen hielt das Ehepaar Forouhar an den Zielen der demokratischen Bewegung im Iran fest, stand für die Trennung von Staat und Religion und die Abschaffung der Todesstrafe. Für diesen über Jahrzehnte kontinuierlich betriebenen Einsatz, der der Oppositionsbewegung innerhalb und außerhalb des Landes Halt und Beständigkeit geben sollte, bezahlten sie 1998 gemeinsam mit dem Leben. Zu diesem Zeitpunkt war Parastou Forouhar nach Absolvierung ihres Kunststudiums an der Universität Teheran bereits sieben Jahre außer Landes.

Parastou Forouhar kam im Jahr 1991 nach Deutschland und begann ein Jahr darauf ein Aufbaustudium an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. 1995 wurde sie zusammen mit weiteren Absolventen der HFG Mitglied des Projekts „Fahrradhalle“. Hier in der Luisenstraße in Offenbach stellte sie erste Werke aus und arbeitete über einen Zeitraum von fünf Jahren an einem Projekt, das der künstlerischen Ambition der Gruppe genauso Rechnung trug wie der individuellen Entwicklung der Kunstrichtung jedes Einzelnen. Ungeachtet ihrer vielen Reisen in den Iran, die nach der Ermordung ihrer Eltern der Aufklärung des Verbrechens dienten, kann sie auf eine große Anzahl an Ausstellungen ihrer Werke zurückblicken. Ihre Arbeiten wurden als Einzelausstellung seit dem Jahre 2001 in Deutschland u.a. in Berlin, Bonn, Crailsheim, Frankfurt, Karlsruhe, München, Potsdam und Stuttgart gezeigt. Außerhalb Deutschlands zunächst in Norwegen, auch in den USA, Großbritannien und in verschiedenen Städten Italiens, um nur einige Beispiele zu nennen. Darunter namhafte deutsche Häuser wie die Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof in Berlin, das Forum im Dominikanerkloster in Frankfurt und Häuser außerhalb Deutschlands wie das Leighton House Museum in London. Gruppenausstellungen, in denen ihre Werke vertreten waren, spannen den Bogen noch weiter: Auf der Berliner Biennale war sie ebenso vertreten wie im Haus der Kulturen der Welt, im Pergamon Museum oder im Walter Gropius Bau, um nur den Standort Berlin zu nennen, in der Nachbarstadt Offenbachs in der Frankfurter Kunsthalle Schirn oder im Museum für Angewandte Kunst, im deutschsprachigen Raum darüber hinaus im Belvedere zu Wien, in der Neuen Galerie am Landesmuseum in Graz oder im Zentrum Paul Klee in Bern. Internationale Beachtung fanden ihre Werke auch weit über den europäischen Kontinent hinaus im Brooklyn Museum in New York, im Jüdischen Museum San Francisco oder im australischen Melbourne sowie in Asien in Istanbul und Beirut oder im Rahmen von Biennalen in Süd Korea und Taiwan.

Auch im Iran präsentierte sie ihre Werke. Um die im Jahr 2002 in der Teheraner Golestan Art Gallery ausgerichtete Ausstellung rankt sich eine vielsagende Geschichte: Einen Abend vor Eröffnung riet man der Galeristin von oberster staatlicher Stelle, die Ausstellung im eigenen Interesse nicht zu zeigen. Was dieser gute Rat in der Islamischen Republik bedeutet, kann man sich nach dem Erzählten und soweit es die Fantasie zulässt, ausmalen. Im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Galeristin und Künstlerin wurde die Ausstellung jedoch trotz der deutlich ausgesprochenen Drohung nicht abgesagt. Vielmehr führten die Entfernung der Bilder aus der Serie Blind Spot und die bloße Präsentation der um ihren Inhalt beraubten leeren Bilderrahmen zu einer der erfolgreichsten Ausstellungseröffnungen in Teheran.

Außerhalb Irans, wo das Leben, Wirken und der Tod des Paares Forouhar nicht unmittelbar das Herz einer gespaltenen und um ihre Revolutionsideale verratenen Nation trifft, wurden Parastou Forouhars Werke nicht minder erfolgreich präsentiert, häufig im Zusammenhang mit der seit 2001 weltweiten Beachtung der zeitgenössischen Kunst des Nahen Ostens, vornehmlich des international isolierten Iran, oft auch im Rahmen von orientalischen Frauenkunst-Ausstellungen. So etwa in Deutschland im Frauenmuseum Bonn oder im Rahmen des zweiwöchigen Festivals „Frauenperspektiven“ in Karlsruhe, das unter dem Motto „1001_Iran“ neun Ausstellungen mit Werken iranischer oder iranischstämmiger Künstlerinnen präsentierte. Auch das Brooklyn Museum in New York hatte in diesem Sinne seine Ausstellung mit „Global Feminism“, Süd Korea mit „Incheon Women Artists“ und Meran mit „Vote for Women“ tituliert.

Doch kann man die Werke Parastou Forouhars der feministischen Kunst zurechnen? Um die Antwort vorwegzunehmen: Parastou Forouhar tritt zweifellos mit eigenen künstlerischen Ausdrucksmitteln für Kultur- und Genderfragen ein, die jedoch immer einen deutlichen Bezug zur politischen Lage und Kultur im Iran aufweisen. So sehr sie die rechtlich und gesellschaftlich unterdrückte Stellung der Frau im Iran anprangert, so wenig sollte man sie und ihr Werk mit dem Maßstab eines abendländisch geprägten Weltbilds des Feminismus beurteilen.

Bleiben wir zunächst bei den Bildern der Fotoserie Blind Spot (Digitalprint 2003), deren Zensur aus der Ausstellung der Teheraner Golestan Art Gallery seinerzeit für Aufruhr gesorgt hatte. Parastou Forouhar stellt hier den von einem lichten Haarkranz bedeckten Hinterkopf eines Mannes zur Schau, dessen Antlitz von einem schwarz in schwarz geblümten Tschador vollständig verhüllt ist. Entgegen der Sehgewohnheit erscheint hier keine Frau, durch den Tschador ihrer Individualität beraubt, gesichts- und identitätslos wie im iranischen Straßenbild, sondern ein Mann. Wie Ornamente eingebunden in einem umlaufenden Fries, als Einzelbild überaus ästhetisch in Form und Wirkung, reihen sich diese Fotografien als Portraitaufnahmen in Blind Spot und als Ganzkörperfigur eines am Boden ausgestreckt liegenden Mannes mit variierter Körperstellung Bild an Bild in der Serie Behnam. Beide Werkgruppen verunsichern den Betrachter, indem sie das ihm vertraut geglaubte Bild in sein Gegenteil verkehren. Entpuppen sich wie in diesem Werk vermeintliche Realitäten als Konstrukt, lassen sich den Bildern weder eindeutige Aussagen entlocken noch können sie explizit mit konkreten Geschlechterfragen in Verbindung gesetzt werden. Als Meisterin subtiler Komik stiftet Parastou Forouhar zuvorderst grenzenlos Verwirrung, um gerade dadurch die Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten zuzulassen.

In ihren Arbeiten bedient sie gern die kulturellen Stereotypen des Eigenen und Fremden, durchbricht ihre falsche Lesbarkeit, indem sie nur eine geringe Abweichung des Normativen vornimmt. Seien es die eben genannten Arbeiten oder die Irritation, die zwei aus einem Tschador herauslugende und zum erotischen Zeichen kodierte Finger in der Arbeit Freitag (Triptychon, Digitalprint 2003) auslösen. Fragmentarisch steht hier die entblößte Hand einem ausschnitthaft gezeigten Schleier gegenüber, der als Symbol der unterdrückten weiblichen Identität die gesamte Bildfläche überzieht. Daumen und Zeigefinger wiederholen durch ihre zangenförmige Haltung das Motiv der Gabelblattranke auf dem Tuch und degradieren sich damit zum ornamentalen Zeichen in einer Welt des Ornamentalen. Indem die Künstlerin bewusst auf die Darstellung eines konkreten Inhalts verzichtet und sich der strengen Form des Dekors überlässt, gewinnt sie den chiffrierten Inhalt zurück: Eine Kultur, die alles zu verhüllen trachtet, erhöht die Bedeutung des Sichtbaren.

Der künstlerische Weg hin zu dieser Arbeit und das ihr innewohnende politische Potential zeichnen sich schon früh ab. Was sich hier als Quintessenz einer Weltsicht abstrakt darstellt, wird in der 1997 entstandenen Arbeit Suizid Kalender Fem vorbereitet: Auf zwölf Kalenderblättern bindet sie Frauen in ästhetisch höchst befriedigende Ornamente ein, die auf unterschiedliche Weise aus der Welt des Ornamentalen, aus der Welt des schönen Scheins ausbrechen, indem sie Selbstmord begehen. Die Serie entstand in Folge der politischen Bulletins, die ihre Mutter wöchentlich veröffentlichte und in denen von der zunehmend verzweifelten und in Suizid endenden Lage iranischer Frauen unter der Islamischen Republik die Rede war. Es sind vor allem diese bildnerischen Analysen des Ornaments, mit denen Parastou Forouhar ein neuer Ansatz in der internationalen Kunst gelungen ist. Denn in ihren Werken spürt sie die prekäre Schönheit des persischen Ornaments in der gereihten Wiederkehr des immer gleichen Motivs auf: Einerseits Mysterium durch Gleichklang, andererseits Raster und Ordnung in dem Strickmuster der weltanschaulichen Gewalt.

Das Ornament ist wohl der typischste Ausdruck islamischen Weltverständnisses. Dem Gesetz der immerwährenden Gabelung gehorchend, wirkt ihre orientalische Spielart, die Arabeske, weit über ihre Präsenz in der bildenden Kunst in alle Bereiche des iranischen Daseins hinein, verselbstständigt sich in der persischen Sprache, in der Musik, in der klassischen Dichtkunst ebenso wie in den unzähligen Floskeln und Redewendungen oder im ritualisierten Gebet. Stets folgt das Ornament einem klaren Ordnungsprinzip, einem rhythmisierten Formenkanon. Diese Form ist als Spiegelung des geistigen Universums in die physische Welt zu verstehen. Von der Vergänglichkeit irdischer Bindungen befreit, scheint das in einem endlosen Rapport eingebundene Ornament unmittelbar der höheren Sphäre des Göttlichen zu entstammen und auch durch sie seine wahre Legitimation zu erfahren. Schon die geringste Abweichung zerstört seine sinnbildliche Vollkommenheit, schon die kleinste Abwandlung eines Gliedes das harmonische Gleichmaß seiner makellos schönen Oberfläche.

Parastou Forouhar hat sich in ihren Werken regelrecht das Ornament vorgeknöpft, seine Ambivalenz durchschaut und erstmals die Tragweite seiner Symbolkraft auf das alltägliche Leben ebenso bildnerisch analysiert wie die groteske Verknüpfung, die es mit der gesellschaftspolitischen Ordnung im Iran eingeht. Unter dem Deckmantel seiner alten Dynamik zwischen Form und Inhalt, reiner Ordnung und Symbol lauert nämlich, wie es schon Adolf Loos in der Streitschrift „Ornament und Verbrechen“ (1908) oder der Soziologe und Geschichtsphilosoph Siegfried Kracauer in dem Aufsatz „Ornament der Masse“ (1927) für ihre Zeit formuliert hatten, eine deutlich vernehmbare Sprache. Die Sprache der Gewalt, der Brutalität und Unterdrückung von Anderssein, derer sich mit besonderer Vorliebe totalitäre Regime bedienen. Denn für die Aufrechterhaltung diktatorischer Systeme ist ein gleichmäßig schöner äußerer Schein ebenso Garant wie die unantastbar innere Ordnung, die alle Unterschiede ausnahmslos egalisiert. Dabei sind Mechanismen der Kontrolle und Überwachung unabdingbar, die Auflösung des Individuums und die Unterbindung jeglichen individuellen Ausdrucks aus den heiligen Reihen eine zwangsläufige Strategie zur Erhaltung und Stabilisierung der Macht. Vereinheitlichung und Gleichschaltung, so lautet das Credo, das sich zwischen Spiel und Ernst, Moderne und Tradition, Harmlosigkeit und Gewalt verankert. In einem ornamentalen System spiegeln sich immer bis ins Detail in die kontrollierten Prozesse eingepasste subtile Strukturen der Macht wider.

Unter dem Diktat einer solchen Macht, der durchdringenden Herrschaft eines einzigen ordnenden Gedankens entfaltet sich nicht nur das Einzelmotiv, sondern auch die spiegelsymmetrische Anordnung des Ornaments als Signum der Gewalt und Unterdrückung. Ihre ideologische Bedeutung kommt in dem Werk Tausendundein-Tag (digitale Zeichnungen, Tapetenmuster, Luftballons, seit 2003) deutlich zum Ausdruck. Ein flächendeckendes Ornament aus stilisierten Leibern, die sich zu einem spiegelsymmetrisch angeordneten undurchdringlichen Knäuel zusammenballen. Die ausschließlich durch Konturenzeichnung charakterisierten Figuren präsentieren sich flächig und schablonenhaft, bar jeder Individualität. Es ist kaum möglich, Opfer und Täter auseinander zu halten. Deutlich zeichnet sich hingegen ab, dass eine Gewalttat eine weitere erzeugt, eine Gräueltat die andere bedingt und so überlappen und durchkreuzen sich einzelne Folterszenen. Unbarmherzig gibt die Rahmenhandlung des zu „1001 Tag“ verballhornten Titels der Arbeit es vor: Tag für Tag fügen sich Opfer und Täter in das kollektive Muster der Normung und damit in die ornamentale Struktur der repressiven Verhältnisse.

Auf den ersten Blick harmlos gibt sich ein Musterkatalog, der einem Teppich- oder Stoffhandel zu entstammen scheint. Seite um Seite reihen sich Musterproben im erlesenen orientalischen Design, die dem Betrachter ein vertrautes Sujet suggerieren. Doch nicht farbenprächtige Blüten und Knospen sind es, die in unendlicher Folge der Arabeske entsprießen. Vielmehr entpuppen sich organische Formen als genitale Kürzel, lanzettartig zugespitzte Motive als scharfe Gegenstände wie Schere, Messer oder Gabel, die im Rapport von Macht und Ohnmacht, von Gewalt und Willkür sprechen.

Als Ausweis unserer Zeit im Digitalverfahren gedruckt, verweisen die männlich besetzten Attribute in den Arbeiten Eslimi (digital entworfene Stoffmuster, Stoffmusterbuch, Rauminstallation, seit 2003) und Farbe meines Namens (digitale Zeichnungen, seit 2008) immer wieder auf das männlich dominierte Strickmuster der weltanschaulichen Gewalt im Iran. Ob wabenartig umrandet oder in diagonaler Reihung dynamisch geordnet, führen die Motive die Bandbreite eines unter dem Banner des Islam stehenden Staats vor Augen  eines repressiven Staats, der Andersdenkende in seinen Reihen nicht duldet, in der Gleichförmigkeit seiner „schönen“ Struktur der Individualität keinen Raum lässt. In diesem System haben selbst Frauen unter dem Tschador der Uniformität marionettenhaft zu agieren, nicht anders als ihre Überwacher, Spitzel und Bevormunder männlichen Geschlechts, deren fragwürdig überlegene Macht der weiblichen Ohnmacht gegenübersteht. Durchschauen sie das System, begehen Frauen physischen oder psychischen Selbstmord oder beginnen einen lebenslangen, manchmal wie im Falle Parwaneh Forouhars allzu kurz währenden Kampf zur Beseitigung desselben. 

Auf der homepage der Stadt Offenbach wird die Vorsitzende der Jury zur diesjährigen Verleihung der „Sophie von La Roche-Preis für die Gleichberechtigung von Frauen“, Stadträtin Marianne Herrmann, mit einem aussagekräftigen Satz zitiert: „Wir sind stolz“, sagt sie, „dass es in unserer Stadt starke Frauen mit Migrationshintergrund gibt, die vorbildhaft das gesellschaftliche Leben und die Kunst der Stadt beeinflussen“. Die Entscheidung der Jury zugunsten von Parastou Forouhar ist nach dem Gesagten und im Sinne von Stadträtin Herrmann zu beglückwünschen. Zu begrüßen ist diese Auszeichnung in besonderem Maße auch vor dem Hintergrund, dass Parastou Forouhar nie ihre iranische Staatsangehörigkeit zugunsten der deutschen aufgeben wollte, nicht einmal eine für Iraner mögliche Doppelstaatsangehörigkeit in Erwägung gezogen hat. Jenseits biografischer Gründe, die ihre Entscheidung bei einer für den Iran gerade in diesen Zeiten politisch so eminent wichtigen Persönlichkeit verständlich werden lassen, bekennt sich Parastou Forouhar uneingeschränkt zu ihrem Lebensmittelpunkt in Deutschland. Inmitten der Stadt Offenbach wohnt sie, ein  nach hiesiger Auffassung – Vorzeigebeispiel der gelungenen Integration, eine Migrantin, die sich mit ihrer Kunst für den interkulturellen Diskurs einsetzt. Mit der Auszeichnung Parastou Forouhars entwächst allerdings auch eine Verpflichtung für Deutschland und Offenbach, nämlich Verantwortung für ihre Preisträgerin zu übernehmen. Im Zusammenhang mit den auf ihrer homepage nachzulesenden „Dokumentation zur Aufklärung der politischen Morde an Parwaneh und Dariush Forouhar“ erklärt Parastou Forouhar, dass „die Aufklärung der politischen Morde, die für die iranische Bevölkerung ein ‚Schlüsselereignis’ darstelle, „ein Punkt“ sei, „an dem der internationale Druck“ im Sinne einer Unterstützung des Demokratisierungsprozesses „effektiv“ ansetzen könnte. Vielleicht könnte Offenbach, in dessen Herzen seine für Freiheit, Demokratie und Einhaltung der Menschenrechte kämpfende Bürgerin lebt, auch hier eine Vorreiterrolle spielen und gerade als eine Stadt mit hohem Migrationsanteil erste Schritte tun hin zu einer Stärkung des Demokratisierungsprozesses im Iran, wo der Ruf nach diesen universalen Werten schon so lange und  wie man am Beispiel Parastou Forouhars sieht  generationsübergreifend erschallt.
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