Die Last der Gegenwart, FAZ, 10. Juli 2011

Blog 2011-07-10

„Schweigen ist durchdrängt von Ungesagtem“ diese populäre Verse die schon oft in politische Zusammenhängen im Iran zitiert wurde, gewinnt erneut an Aktualität als die Proteste zum Jahrestag der „Grüne Bewegung“ im Zeichen des Schweigens angekündigt werden: Schweigemarsch auf Teheraner Strassen die vor nur zwei Jahren Schauplatz eine mutige Revolte waren. Die „Grünen“ wollen Präsenz zeigen ohne sich aber in große Gefahr zu begeben – in Camouflagehaltung verharren und Gunst der Stunde abwarten. „Gewaltlosen Widerstand“ wird in virtuellen Raum beschwören die als Treffpunkt der Aktivisten fungiert. So tief sitzen die Wunden der vergangenen Konfrontationen mit der nackte Gewalt, der die Agenten und Schläger des Regimes zutage tragen, in Leib und Seele der Aufständische. Sogar der Aufruf zum Protest zeigt die aktuelle Camouflagehaltung: Ein geheime Rat deren Mitglieder anonym bleiben, veröffentlicht die parolenreiche Ankündigung zum Schweigemarsch. Der Rat beansprucht dem Sprachrohr der Führungsfiguren der Bewegung, Mussavi und Karrubi, zu sein, die nun seit 120 Tage unter Hausarrest gestellt und mundtot gemacht worden sind. Im Gegensatz zu vergangene Protestaufrufe hat keine der namhafte Politiker, die sich mit der Grüne Bewegung solidarisiert, seine Beteiligung angekündigt. Das Volk soll auf die Strasse gehen, die Herrschaften würden sich, wenn möglich, anschließen.

Die Proteste verlaufen spärlich. Die massive Präsenz der hochgerüstete Sicherheitskräfte auf Teheraner Strassen wird von vielen Aktivisten als Zeichen der Fortbestand der Grüne Bewegung und der Angst des Regimes ausgelegt. Wacklige Bilder der vermummten Agenten kursieren auf Facebook, die Kommentare spiegeln der ausbreitete Zorn wieder. Diejenige die sich auf die Strasse gewagt haben, schreiben über den sanften Regen der an diesem Tag fiel, über die solidarische Blicke und Flüstertone unter den „Passanten“. Das „Ungesagte“ darf nur durch Kodierungen zur Sprache gebracht werden. 

Am Tag danach schreibt ein Blogger eine kurze Satire über „das Volk“ dessen Gleichgültigkeit er verhöhnt. „Warst Du nicht spazieren?“ Fragt er in sein Schreiben eine Freundin „die um keinen Preis die Märsche vor zwei Jahren verpasst hätte.“ „Ach nein! mein Junge musste sich für seine Prüfungen vorbereiten.“, lautete die Antwort. 

Die politischen Ziele sind wieder in den Hintergrund getreten. Ein Prozess dessen  beständiges Fortschreiten ich während meiner letzten Reisen nach Teheran beobachten konnte. Erneut hat den Alltag in der Stadt das Leben zurückerobert, der mir manchmal geerdet und schön, ein andermal scheinheilig vorkommt.

Die Machthaber ringen um eine Fassade, die Stabilität vorgibt. Sie zeigt sich zuerst in Stadtbild Teherans: Alle Freiflächen auf den Betonwänden entlang der mehrspurigen Strassen und Highways sind mit idyllischen, kitschigen Landschaftsbildern bemalt. Eine überdimensionierte Postkartensammlung kaschiert die Wirklichkeit. Hier und da sind Tafeln aufgestellt die den Bürgern belehren ihre Stadt wie ihr Zuhause zu umsorgen. Die Bürger reißen Witze: „ Mein Stadt, meine Kindergarten“  

Kaum wird über den Wahlbetrug gesprochen, der im Sommer 2009 Anlass der Rebellion wurde. Man spricht über Inflation und Korruption, über die erhöhten Umlagerechnungen die nun ohne staatliche Subvention berechnet werden. Die Rechnungen werden verglichen, die möglichen rechtlichen Schritte besprochen und zuletzt neuste Methoden zur Manipulation der Zähler ausgetauscht. Es ist die Wirtschaftsmisere, die die alltägliche Wut der Bürger entfacht. Soziale Ungerechtigkeit wird zur Anklage gegen das Regime.

Überall begegnet man der verbreiteten Unzufriedenheit, ständig wird sie zum Ausdruck gebracht: Die Herrscher werden beschuldigt, verflucht, beschimpft und verhöhnt. Doch der Würgegriff der Kontrollorgane sitzt fest und verhindert gemeinschaftlichen Protest, der die allgegenwärtige Unzufriedenheit in eine Bewegung überführen könnte. Die Sieger haben große Angst vor den Besiegten.

Der innere Widerstand wird trotz aller Repression bewahrt und in kleinen Runden geteilt: wenn Familien und Freunde zusammenkommen, in Cafes wo junge Leute sich treffen, auf Ausstellungen, Konzerten und in Fußballstadien, in Taxis und Geschäften, auf Facebook und in anonymen Weblogs … Die grünen Stofffetzen, die viele immer noch als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zur Rebellion am Handgelenk tragen, sind verblasst und doch heiß geliebt. 

Die Jugend, die vor zwei Jahren der Aufstand mobilisiert hat, ist nun bemüht, sich im Alltag zurechtzufinden und ihm eigene Merkmale aufzudrücken: enge Klamotten, geschminkte Gesichter, laute Musik und fordernde Auftritte. Die Funken ihre Rebellion kommt in der Nacht zutage. Wenn man zur späten Stunde in Teheran unterwegs ist, begegnet man junge Motorradfahrer die in kleine Gruppen wettrennen und dabei so laut wie nur möglich aufschreien. Es sind keine Wörter, keine Parolen oder Lieder aus ihr Geheul rauszuhören- nur nackte Schreie die urig und  hemmungslos die herrschende Ruhe aufschneiden. Auch die Gebirge am Nordteheran ist weiterhin ein Zufluchtort wo nachts die Jugend sich trifft, säuft, kifft, zu laute Musik tanzt und die Illusion der Freiheit nachhängt. Hier übt das Regime taktische Toleranz. Der Horizont, der der Jugend offen steht, die Zukunft, die ihre Wünsche beherbergt hat eine heilsame Wirkung auf ihre Gegenwart, auf ihre verletzte Seele. 

Es sind eher die Älteren die unter der Last dieser Stunde zermahlen werden. Es ist die Abschiedszeit der Generation meiner Eltern. Ihre politischen Weggefährten stehen nun an der Schwelle des Todes, ihre Rückblicke sind voller Wehmut und Anklage. Fragil und dünnhäutig können sie es nicht fassen und nicht ertragen, dass noch einmal eine Zeit so brutaler Repression angebrochen ist.

Während ich in Teheran bin, wirft sich der 79 Jahre alte Siyamak Pourzand vom Dach seines Hauses in den Tod. Jahrelang war der Journalist und Intellektuelle streng observiert worden, seine Ehefrau, die Menschenrechtsanwältin Mehrangis Kar kann schon seit Jahren nicht mehr nach Iran zurückkehren und lebt im amerikanischen Exil.  Der Selbstmord Pourzands macht mir die Schizophrenie bewusst, die der Würgegriff der Repression hervorbringt: Man trägt einen Aufschrei in der Brust und eine stumme Maske auf dem Gesicht. Die zeremonielle Trauerfeier für Pourzand wird verboten, kein Protest folgt diesem Verbot. 

„Die Herrschaften haben den Kelch der Macht geleert und sind jetzt im Zustand hässlicher Vollsuff.“, sagt mir Ahmad Sadr Hadjseyedjavadi, den ältesten Freiheitskämpfer Irans als ich ihn besuche. Bettlägerig und abgemagert, aber wach im Geist berichtet der alte Mann über die Repressalien, denen er und seine Weggefährten ausgesetzt sind: tägliche Anrufe der Geheimagenten, die sie in respektloser Sprache warnen, sich kritisch zu äußern. Die verschärfte Überwachung ihrer Häuser führt in eine aufgezwungene Isolation. Falls sie sich den „Anordnungen“ widersetzten, droht man, ihre Kinder und Enkel zu verhaften. 

Später besuche ich Herrn Sahabi, einen anderen namhaften Oppositionellen, im Krankenhaus. Die Agenten stehen im Flur und registrieren die Besucher. Müde ist der achtzigjährige, der seit Jahren der Machthaber zum Toleranz aufruft und für den Reformprozess als einzig wahrhaftiger Ausweg appelliert.

Seine Tochter Haleh, eine Aktivistin der Grünen Bewegung sitzt seit März in Haft. Ihrem Antrag auf Hafturlaub, den sie gestellt hat, um den sterbenden Vater noch einmal zu sehen, wird erst stattgegeben, als der Vater schon ins Koma fällt. Ende Mai stirbt Herr Sahabi. Bei seiner Beerdigung der auf „Anordnung“ der Kontrollorgane auf einem kleinen Friedhof, weit entfernt von Teheran stattfand, wurde Haleh von Milizen und Agenten brutal zusammengeschlagen. Augenzeugen berichteten, dass man noch weiter auf sie einschlug, als sie bereits reglos am Boden lag. Sie überlebte die Beerdigung ihres Vaters nicht. Ihre Leiche wurde, in einer Nacht und Nebel Aktion, zu später Stunde, am Tag ihre Ermordung, unter massiver Präsenz der Sicherheitskräfte „zwangbeerdigt“. 

Die Proteste werden weniger auf die Strasse und mehr im Gefängnissen ausgetragen. Zwei inhaftierten Mitstreitern von Haleh Sahabi treten in Hungerstreik und verlangen juristische Aufklärung. Der zweiundfünfzig jährige Hoda Saber stirbt am Sonntag den 11. Juni. Eine Gruppe von seine Mitgefangenen bezeugen in einem offenen Brief, dass hier die nötige medizinische Hilfe nicht geleistet wurde. 

Am Tag der Schweigemarsch wird gezielt die 55 Jährige Mansoureh Behkish auf die Strasse verhaftet. Mann kennt ihre Name: Fünf ihre Geschwister sind die Hinrichtungswelle der Achtzigerjahre zum Opfer gefallen. Sie selbst ist aktive Mitglied der „ Trauernde Mütter “ die der Erinnerung an Gewaltopfer des Regimes Wache hält. Auch ihre Verhaftung zeigt die grenzenlose Unmenschlichkeit und barbarische Verhalten die das Regime in Umgang mit seiner Kritiker anwendet.

Die Empörung und Verletzung hat schon längst die Grenze des Erträglichen überschritten, jedoch den erhofften Dammbruch lässt auf sich warten. Angesichts der Standhaftigkeit und Opferbereitschaft der Araber, auf die die Iraner sonst mit einem gewissen Dünkel herabblicken, kommt Selbstkritik auf, sogar Selbsthaß. „Wir sind nicht so ehrenvoll wie die Araber“, hört man, und: „Wir sind alle Duckmäuser, wie haben es verdient, so behandelt zu werden.“ – „Wir hätten das Regime vor zwei Jahren besiegen können, als wir so zahlreich auf der Strasse waren. Es war unser eigener Fehler, wir hätten auf der Strasse bleiben müssen, wie die Ägypter!“ 

Viele Aktivisten, haben sich „Abwarten“ und  „in Geduld üben“  auf ihre Fahne geschrieben. Manchmal erinnert ihre unnachgiebige Zuversicht mich an meine Eltern. Das Regime habe seine Legitimation gänzlich verloren, es werde sich langfristig nicht halten können, behaupten sie mit großer Überzeugung. Sie richten ihre Blicke auf eine Zukunft, die von der geknebelten Gegenwart losgelöst scheint. Sie sprechen vom unausweichlichen Gang der Geschichte, der in die Freiheit führt. Die Frage, wie dieser Wandel zu vollbringen wäre, bleibt ohne Antwort. 

Manchmal erscheint es mir wie ein Dejavu: Eine Gesellschaft, die ihre Vergangenheit noch einmal durchlebt und wieder versucht, aus dem Teufelskreis der ständigen Repressionen auszubrechen- sich aus der Falle der Diktatur zu befreien. Wieder wird der Gang markiert mit den Daten, Namen und Bildern der Opfer. Wieder bieten sie Anlass zu erinnern, Haltung zu zeigen und die Zukunft für sich in Anspruch zu nehmen.