Gleichzeitig; Parastou Forouhar beim Aschermittwoch der Künstlerinen und Künstlern

Blog 2024-05-23

14. Februar 2024 im Haus am Dom, Frankfurt

Zuerst einmal möchte ich mich herzlich bei Ihnen für die Einladung zu dieser Veranstaltung bedanken. Ihre Anfrage kam für mich äußerst überraschend, doch zugleich reizt mich die Bewältigung dieser Aufgabe sehr. In einer Zeit, die zunehmend von Abgrenzung und Affronts gegenüber vermeintlich Fremden geprägt ist, habe ich in Ihrer Einladung als Frau und Migrantin aus einem muslimischen Land eine erfrischende Aufgeschlossenheit und Leichtigkeit entdeckt, die mich sehr erfreut hat. Mich gefreut hat auch die Umbenennung der Veranstaltung zu Aschermittwoch der Künstler und Künstlerinnen. Diesen schönen Titel möchte ich auch auf meine heutige Rede übertragen.

In meinem Beitrag geht um die Gleichzeitigkeit von Fremdheit und Zugehörigkeit, das Schreckliche und das Schöne, der repressiven Strukturen und die verschiedenen Ansätze, sich daraus zu befreien, es geht um das Erbe aus der Vergangenheit und die Gegenwart. Es geht um die Gegensätze, die sich immer wieder neu ausbilden und uns auffordern, Verantwortung zu übernehmen. Es geht um das Sehen als zentralen Akt bei der Wahrnehmung von Bildern, um die Ambivalenz des Sichtbaren und des Vertuschens sowie um die Machtverhältnisse, die deren Grenzen bestimmen.

Ich stamme aus dem Iran, aus einem Land, dessen neuere Geschichte sich zum einen durch politische Unterdrückung und permanente Verletzung der Menschenrechte, zum anderen durch Widerstände und Aufstände gegen die Bestimmungen seiner Geschichte auszeichnet. Aufgewachsen bin ich in einem von demokratischen Idealen und kritischem Denken geprägten Elternhaus. Aus solchen Prinzipien heraus zu handeln, zog immer Konsequenzen nach sich, die sich auch auf mein Leben auswirkten.

Im Jahr 1978, als ein flächendeckender Aufstand gegen die despotische Monarchie im Iran ausbrach, war ich 16 Jahre alt. Die Revolution und ihr Potential an Utopien zogen mich in ihren Bann. Umso härter war der Aufprall in die Realität, als im Namen der Revolution und der Besinnung auf die eigene Kultur eine neue Ära der Repression ausbrach. Sämtliche nicht systemkonformen Denkweisen und Handlungen wurden hart bestraft. Durch das öffentliche Verkünden und Ausführen der unzähligen Strafmaßnahmen wurde ihre abschreckende Wirkung verstärkt. Tausende, unter ihnen mein Vater, wurden verhaftet, tausende sind ins Exil geflohen. Tagtäglich wurden Namenlisten der Hingerichteten veröffentlicht, in Zeitungen und Abendnachrichten.

Als Künstlerin versuche ich später, meinen Empfindungen aus dieser Zeit nachzuspüren und eine Sprache zu finden, diese bildnerisch umzusetzen.

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In der Folge werde ich Parallelen zwischen diesem totalitären System und einer ornamentalen Struktur erkennen, die starre Bedingungen zum ästhetischen Ideal ausformt und Andersartigkeiten als Abweichung abstößt. Ich werde über das Gewaltpotential ebensolcher “schönen” und “harmonischen” Ordnungen nachdenken, über die Praktiken der Ausgrenzung und Diffamierung, die zur Aufrechterhaltung einer Leitkultur eingesetzt werden.

Damals war ich jedoch zutiefst erschrocken. Wie viele aus meiner Generation spürte ich, dass man dabei war, mir systematisch meine Zukunft zu rauben. Als ich im Jahr 1984 begann, Kunst zu studieren, war das Studium eine Möglichkeit, nach alternativen Horizonten Ausschau zu halten, mich anders zu definieren – lieber Bilder zu malen als geplatzten Utopien der Revolution nachzuhängen. Ich wurde zu einer besessenen Malerin, fasziniert vom Akt einer schnellen und unmittelbaren Malerei. Der Arbeitsprozess war geprägt von einem unverzüglichen Blickwechsel zwischen der Realität, die ich vor Augen hatte, und dem Bild, das auf der Leinwand entstand. Die Spontaneität dieses Prozesses ermöglichte mir in einer stark reglementierten Welt, meinen eigenen Blickwinkel zu suchen und ihn zu behaupten, indem ich ihn malte. Künstlerische Arbeit öffnete mir einen fragilen Raum der Souveränität.

Während der 80er Jahre im Iran lebten viele, die nicht regimekonform waren, in einer Haltung des inneren Exils und entdeckten Kunst und Literatur als Freiraum. Wir trafen uns in kleinen Kreisen in privaten Räumen, um verbotene Filme zu sehen, unzensierte Bücher auszutauschen, hinter den dicken Mauern Musik zu hören, zu tanzen und zu lachen. In solchen verborgenen Gemeinschaften konnte das Verbotene vergessen und die eigene Angst besiegt werden.

In diesen parallelen Lebenswelten, die uns punktuell aus den herrschenden Zuständen befreiten, lauerte der Wunsch nach Auswanderung, nach Ausbruch aus dem festen Duktus des bevormundenden religiösen, strikt nach patriarchalen Strukturen agierenden Regimes . Die Verheißung des Westens, in einer Demokratie leben zu können, zu der wir uns hingezogen, ja zu der wir uns sogar auf einer naiven Weise zugehörig fühlten, erschien uns als eine erstrebenswerte Alternative zu unserem eigenen Kulturraum, in dem man unsereins nicht duldete.

Erst später werde ich als Künstlerin und Immigrantin, über die Entstehung von Zwischenräumen nachdenken, über ihren suggestiven Charakter, der uns immer ein Wagnis abverlangt. Über die Gleichzeitigkeit von Utopie und Täuschung.

1991 kam ich zusammen mit meinen zwei kleinen Jungen, damals 7 und 5 Jahre alt, mit zwei riesigen Koffern und einem Ordner voll beglaubigter deutscher Übersetzungen unserer Dokumente, darunter mein Diplom von der Teheraner Kunstakademie, nach Deutschland. Ich hatte meinem Land und seinen Zwängen den Rücken gekehrt.

Wie viele andere Auswanderer, suchte ich nach einem Ort, dem ich mich anvertrauen konnte und an dem ich mich, befreit von Terror und Not, entfalten durfte. Doch dem Auswandern folgt kein selbstverständliches Ankommen: Der Zwischenraum war zunächst kahl und abweisend.

Im neuen Land war ich auf die Summe meiner Unfähigkeiten und Unzulänglichkeiten reduziert. Es kam mir vor, als ob ich aus zahlreichen Hohlräumen und Leerstellen bestünde, die ausgefüllt werden wollten. Die Autorität der Formulare und Stempel lernte ich in dieser Phase kennen. Auf dem Formular, das ich immer wieder ausfüllen musste, um die Verlängerung meines Bleiberechts zu beantragen, stand oben links in einem kleinen leeren Rechteck: Das Lichtbild des Ausländers.

Später habe ich die eigentliche Bedeutung des Begriffs Zuschreibung erfasst und mich mit meiner Ohnmacht gegenüber deren Mechanismen und Vokabularen auseinandergesetzt, die oft sachlich ja sogar korrekt daherkommen. In dieser Zeit wurde ich zu einer ehrgeizigen “Ausländerin”, die sich ständig in der Bringschuld sah, der sie mit großem Einsatz nachging und voller Eifer die nacheinander erforderlichen Stempel erwarb.

Gleichzeitig nahm ich immer deutlicher wahr, wie ich zu einer Projektionsfläche für das Wissen und das Unwissen meiner Umgebung über einen entfernten Kulturraum wurde. Alltägliche Begegnungen hielt ich in einem Skizzenbuch fest. Ein Kapitel war den Waschsalongesprächen gewidmet. Die Gesprächspartner waren oft ältere Damen, die mich gerne korrigierten. Sie sprachen mich langsam und deutlich an. Es gab Standardfragen: Woher kommen Sie? Wie lange bleiben Sie? Immer wieder tauchte eine befremdliche Frage auf, deren Schlüsselrolle ich damals nicht durchschaute: Essen Sie Schweinefleisch? Mit einem Ja darauf hatte ich den Eindruck, meine Bringschuld erfüllt zu haben.

1992 begann ich ein Aufbaustudium an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung. Als einzige Studentin aus dem Iran wurde ich liebevoll “die Perserin” genannt. Gleichzeitig durchlief ich eine lange, stumme Phase der Identitätskrise. Festgenagelt auf die kulturelle Zugehörigkeit zu meinem Herkunftsland, entglitt mir das Selbstverständnis dieser Bindung immer mehr.

Vielleicht entstand aus diesem Verlust heraus die Arbeit “Written Room”, deren erste Version ich im Jahr 1995 zeigte. Seitdem habe ich das Werk weiterentwickelt und in vielen Städten weltweit präsentiert.

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Schriftzeichen werden hier zu Bildzeichen, die sich zu Ornamenten verwandeln und neue Zusammenhänge erschließen. Sie ziehen sich über die Wände und den Boden, werden gestaucht oder gedehnt, tanzen durch den Raum, entwickeln Formationen und Landschaften. Schrift als Körper, die den Raum besetzt, die Architektur negiert und gleichzeitig betont. Die aneinandergereihten Schriftzeichen ergeben keine lesbaren Worte, wohl aber Schwingungen und Rhythmen, die den Raum mit ihrem Klang erfüllen.

Written Rooms sind Erinnerungsräume. Die Erinnerung an die Schrift meiner Muttersprache. Die Arbeit stellt eine ambivalente Erfahrung dar: Wie eine Befreiung aus der Umarmung der muttersprachlichen Kultur, der ich mich versichern will, um mich ihr zugleich zu verweigern. Gleichzeitig ist die Arbeit ein spielerischer Umgang mit der Doppelbödigkeit einer kulturellen Fremdheit. Die Signalwirkung der islamischen Schriftformen – ob Farsi oder Arabisch – verbindet sich bei denen, die ihrer nicht kundig sind, für gewöhnlich mit dem Fremden schlechthin; die Öffentlichkeit assoziiert damit theologisch-politische Parolen, ja sogar Aufrufe zur Staatsuntreue oder religiös motivierter Gewalt.

Dieser immerzu mitschwingende Verdacht setzt in der Arbeit ihre rhythmische Schönheit entgegen. Sie vermittelt aber keine Eindeutigkeit, keinen anderen Halt, als sich einzulassen auf eine assoziative Erfahrung.

Wo das Assoziative nicht zulässig ist, zieht die Arbeit manch seltsame Reaktion nach sich. Im April 2020, während der letzten Tage, als ich diese Arbeit in der Stadt Chur in der Schweiz auf dem Vorplatz eines stattlichen Gebäudes realisiert habe, ist ein Beauftragter des Staatssicherheitsdienstes aufgetaucht, um mit Hilfe einer Drohne die Arbeit aufzunehmen. Als ich ihn überrascht nach dem Grund seiner Aktion befragte, sagte er, dass die Arbeit auf ihren Gehalt überprüft werde. Sie solle mit Hilfe einer Sachkundigen ins Deutsche übertragen werden. Jedes Mal, wenn ich mir das resultierende geheime Protokoll vorstelle, das sich nun zwischen verschlossenen Akten befindet, muss ich herzlich lachen. Auf amtlichem Papier steht eine absurde Kakophonie: “Lala Be po nnn krkr pe” und so weiter.

Aber auch Lesbarkeit garantiert kein Verständnis oder eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe.

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Die Arbeit, die Sie sehen, heißt “Dokumentation” und befasst sich mit dem politischen Mord an meinen Eltern, der sie am 22. November 1998 zum Opfer fielen. Dariush und Parvaneh Forouhar, beide prominente oppositionelle Politiker im Iran, die seit Jahrzehnten für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gekämpft hatten, wurden an diesem Tag in ihrem Haus in Teheran von Agenten des Informationsministeriums der Islamischen Republik überfallen und bestialisch ermordet.

Dieses Ereignis markiert eine Zäsur in meinem Leben. Das Verbrechen rief mich zurück in das Land, das ich glaubte, verlassen zu haben. Seitdem bereise ich regelmäßig Teheran, um an das Verbrechen zu erinnern, eine rechtsstaatliche Aufklärung der politischen Morde zu fordern und die Erinnerung an meinen Eltern wachzuhalten.

Um für diesen Prozess hier in Deutschland Unterstützung zu mobilisieren, habe ich von Anfang an versucht, durch Pressekonferenzen, Veranstaltungen und Rundbriefe die Kunstszene, die Presse, Menschenrechtsorganisationen und Politiker über die Entwicklungen zu informieren und auf dem Laufenden zu halten.

In der Arbeit “Dokumentation” zeige ich meine hier von Deutschland aus geführte Korrespondenz, die übersetzten Korrespondenzen, die ich mit den iranischen Justizbehörden geführt habe, aber auch Zeitungsartikel, Stellungnahmen der Menschenrechtsorganisationen, Übersetzungen der Transkriptionen der Vernehmungsprotokolle der Täter, rechtsmedizinische Berichte und viele weitere Dokumente.

Die Blätter sind allesamt fotokopiert, an Styroporplatten an der Wand befestigt oder auf Regalen in Pappkartons geordnet. Ein Kopiergerät steht bereit, um den Besuchern das Mitnehmen der Informationen zu ermöglichen, sie zur aktiven Teilnahme anzuregen.

Die Arbeit spiegelt den ununterbrochenen Prozess eines Widerstands wider, der am Ende weder eindeutige Ergebnisse erzielen noch ihn brechen konnte. Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder diese Arbeit im Rahmen unterschiedlicher Ausstellungen aufgebaut. Sie ist stets gewachsen und gleicht immer mehr einem Labyrinth ohne Ausweg.

Die Symbiose von politischen und künstlerischen Komponenten in dieser Arbeit, die ihre biografischen Voraussetzungen offenlegt, übt eine polarisierende Wirkung auf die Betrachter aus. Wiederholt konnte ich den Eindruck gewinnen, dass die Überforderung, die die Rezipienten im Angesicht dieser Arbeit empfanden, sie zum Rückzug bewegte. Dann breitete sich eine kalte Sprachlosigkeit aus, die auch mich erfasste.

Außerhalb der Kunst- und Kulturszene begegnete ich auch befremdlichen Reaktionen auf meine Engagements. Ein drastisches Beispiel ereignete sich im Dezember 2002, als ein umfassender Bericht im Spiegel über meine Reise nach Teheran erschien, die anlässlich des vierten Jahrestages der Ermordung meiner Eltern stattfand.

Die Versammlung an diesem Tag, an der Tausende von Menschen in Teheran teilgenommen hatten, wurde von organisierten Schlägertruppen des Regimes attackiert. Der Spiegel-Journalist, der dieser Versammlung beigewohnt hatte, beschrieb sehr plastisch die „bürgerkriegsähnlichen“ Auseinandersetzungen und stellte dieses Ereignis als Exempel für eine aufkeimende Konfrontation in der politischen Landschaft des Landes dar. Er schrieb über die Bedeutung des Kampfes infolge der Aufklärung des Mordes an meinen Eltern für den Demokratisierungsprozess im Iran.

Der Artikel erfüllte mich mit Zuversicht und Dankbarkeit. Er war nicht nur ein eindeutiger Erfolg für meinen beharrlichen Einsatz gegen das Vergessen, sondern auch ein Beweis für die Relevanz des Themas in der deutschen Öffentlichkeit.

Ich wohnte damals mit meiner Familie in einer bürgerlichen Siedlung am Bornheimer Hang in Frankfurt. Was ich damals nicht erwartet hatte, war die Unruhe, die der Artikel in meiner Nachbarschaft verursachte und die schnell in feindselige Reaktionen mir gegenüber ausartete. Meine Nachbarn fühlten sich in meiner Nähe bedroht von möglichen Angriffen seitens Islamisten aus dem Iran. Viele Gespräche wurden in meiner Abwesenheit geführt und der Hauch einer toxischen Atmosphäre erfüllte die Luft, wenn ich durch das Treppenhaus ging.

Zuerst wurden die Polizei und das BKA eingeschaltet, dann wurden Mietminderungen bei der für die Siedlung zuständigen Baugenossenschaft beantragt, da das Haus nach Meinung einiger Mieter durch meine Anwesenheit als „gefährdetes Objekt“ eingestuft werden sollte.

Obwohl meine Familie und ich uns anfangs gegen einen Auszug wehrten, lastete die Erfahrung auf unser zusehends entschwindendes Zuhause schwer und vertrieb uns letztendlich aus diesem Haus und dem Viertel. Es war ein persönliches Erlebnis des hässlichen Konzepts der Re-Integration, das erfreulicherweise alsbald auf große Empörung stieß.

Solchen ausgrenzenden Erfahrungen kann ich aber auch viele völlig konträre Begegnungen entgegenhalten. Im Laufe der Jahre habe ich viel Solidarität, Zuspruch und Unterstützung erfahren, fand auf meinem Weg viele Freunde und Verbündete, die meine Ansätze unterstützten und förderten.

In diesem Zusammenhang betrachte ich auch die Stipendien und Förderungen, die ich im Laufe der Jahre erhalten habe. Sie boten mir nicht nur die Möglichkeit, meine Ansätze weiterzuverfolgen, sondern betteten sie auch in den hiesigen Kulturbetrieb ein. Dadurch wurde ihre Relevanz für die Gesellschaft, in der ich lebe und arbeite, anerkannt und mein Zugehörigkeitsgefühl gestärkt.

Doch gleichzeitig wurden die strukturellen Rahmenbedingungen der Zugehörigkeit immer wieder so gesetzt, dass sie nicht gefördert, sondern eher sabotiert wurde. In dem Jahr, in dem ich das Stipendium der Villa Massimo erhielt, eine der prominentesten Auszeichnungen im deutschen Kulturbetrieb, musste ich zeitgleich eine ernüchternde Erfahrung mit der Ausländerbehörde machen.

Nach mehreren Jahren, in denen mir zunächst ein Studentenvisum gewährt worden war und anschließend acht Jahre lang eine jährlich verlängerte Aufenthaltsbefugnis aus humanitären Gründen durfte ich in dem genannten Jahr endlich einen Antrag auf Niederlassungserlaubnis stellen, der mir ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland hätte zusichern können.

Mein Antrag wurde abgelehnt. Als Begründung verwies man auf das Stipendium: Mein Lebensunterhalt sei abhängig von Staatszuwendungen und werde nicht selbstständig bestritten. Der zuständige Beamte meinte, dass mein Stipendium für die Ausländerbehörde, auf das ich so stolz war, wie Sozialhilfe eingestuft werde, da es von der Stadt finanziert sei. Ich bin mir sicher, dass die finanzielle Selbstständigkeit eines deutschen Kollegen, eines weißen Kollegen, hier nicht in Frage gestellt, sondern mit großer Anerkennung bestätigt worden wäre.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie drängt mich in ein Dilemma, das nicht nur meins und auch nicht nur iranisch ist. Es ist eine Zwickmühle zwischen der Wahrnehmung der Realität, die ein harmonisches “In-der-Welt-Sein” nicht zulässt, und gleichzeitig der Sehnsucht nach Harmonie, die fortbestehen will. Es wirft Fragen auf, die immer wieder das Dilemma vor Augen führen.

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Wie positioniere ich mich als Künstlerin in einer Welt, die von Strukturen der Gewalt durchdrungen ist, und welche Strategien kann ich entwickeln, um die daraus resultierenden Erkenntnisse und unsichtbaren Sachverhalte ins Bild zu bringen?

Meine künstlerische Arbeit begreife ich als einen Raum, den ich öffnen kann, um das angesprochene Dilemma anzuschauen, zu reflektieren und zu veranschaulichen. Es geht um die Herstellung einer Koexistenz zwischen der schönen Vision und der grausamen Realität, um die Flüchtigkeit des Moments in einer Hybris, um einen Raum, in dem Anwesenheit und Abwesenheit gleichzeitig erfahrbar sind.

Vielleicht steht aber auch das permanente Scheitern im Zentrum dieser Überlegungen. Das Scheitern als Momentaufnahme in einer Gegenwart, die von der Last der Vergangenheit und dem erschreckenden Realzustand erdrückt und vom Freiheitsversprechen der Zukunft ermutigt wird, das Scheitern als Normalität macht – das Scheitern hier als Synonym für den Versuch, die Gegensätze zu leben und auszuhalten. Es wird zum Spiegelbild der Zerbrechlichkeit der Schönheit, die wir dennoch festhalten möchten.

Die auf dem Ornament basierende Bildsprache eröffnet mir die Möglichkeit, solchen kontroversen Empfindungen und der daraus resultierenden Paradoxie Ausdruck zu verleihen und den Moment des Verlusts einzufangen.

Ornamente sind Abstraktionen, die das Profane in einem idealisierten Zustand überhöhen und dem Betrachter eine sinnliche Erfahrung harmonischer Formen ermöglichen. Das ausgewogene und rhythmische Erscheinungsbild des Ornaments erweckt Vertrauen und ist oft beruhigend. Doch das Ornament ist auch ein schillerndes Wechselwesen. Die suggerierte Makellosigkeit des Ornaments ist verführerisch und seine ästhetische Nähe zum Dekor täuscht eine einfache Lesbarkeit vor.

Ich setze diese Verführung bewusst ein, um eine Wende in der Wahrnehmung zu forcieren und das Gewaltpotenzial solcher Makellosigkeit zu veranschaulichen; das Ornament duldet keine Abweichung. Es bietet mir eine Bildsprache, um Machtstrukturen darzustellen, in denen die Figuren in Rollen gedrängt werden und die Spirale der Gewalt endlos fortgesetzt wird, wobei Macht und Ohnmacht untrennbar miteinander verwoben sind. Hier wird das Ornament zu einem Labyrinth, das den Betrachter hineinzieht, um ihm die alles entscheidende Frage zu stellen: Wo stehst du?

Diese Arbeit heißt “Augen”, eine raumbezogene Installation, die ich im Laufe des letzten Jahres im Rahmen mehrerer Ausstellungen gezeigt habe. Eine trug den schönen Titel #nichtmüdewerden und fand in einem Museum in Osnabrück statt, das zum Andenken an Felix Nussbaum erbaut wurde.

In dem Einführungstext der Ausstellung heißt es: “Die Themen, die Nussbaum bearbeitete, sind keineswegs Vergangenheit. Gewalt, Unterdrückung, Rassismus, Antisemitismus, Entrechtung und Entmenschlichung umgeben uns nach wie vor. Daher zeigt die Ausstellung seine Gemälde zusammen mit Werken von internationalen zeitgenössischen Künstler_innen. Mutig leisten sie heute mit ihrer Kunst auf vielfältige Weise Widerstand. Die Ausstellung fordert dazu auf, Position zu beziehen – für eine friedliche, tolerante und mitmenschliche Gesellschaft.”

In den Tagen, als ich an diesem Beitrag gearbeitet habe, erreichte mich die E-Mail eines befreundeten Künstlerkollegen, der wie ich aus dem Nahen Osten stammt und in Europa lebt. Wir haben uns bei gemeinsamen Ausstellungen und Stipendien kennengelernt und angefreundet. Er schrieb mir, um unsere gemeinsame Verabredung im März abzusagen. Er würde sein Stipendium in Deutschland verkürzen wegen eines traurigen Zwischenfalls, teilte er mir mit. Später erzählte er mir am Telefon, dass er in einem Bus auf dem Weg zu seinem Atelier angespuckt wurde. Er hatte einen Kaftan getragen, den sein verstorbener Großvater ihm vor Jahrzehnten geschenkt hatte, als er seine Heimat verlassen wollte.

Das Tuch sollte seine Zugehörigkeit zu seinen Wurzeln sichtbar machen, seine Trauer um die katastrophale Notlage der Menschen in Gaza nach außen tragen. Es hatte kontroverse Reaktionen hervorgerufen, die ihn überforderten. Die Anfeindungen konnte er jedoch ertragen, sagte er. Aber als eines Tages gezielt auf das Tuch, das er um seinen Hals trug, gespuckt wurde, war für ihn eine Grenze erreicht. Ich war über das Gehörte beschämt und sprachlos.

Er erzählte mir von seinen neuen Arbeiten und seiner bevorstehenden Ausstellung. Am Ende unseres Gesprächs fragte ich ihn nach dem Tuch. Er sagte, dass er es gewaschen und gebügelt habe. Und nun, jeden Tag, wenn er das Haus verlasse, binde er es um seine Brust, unter seiner Kleidung, verborgen vor Anfeindungen und Übergriffen. Seit dieser Erzählung stelle ich mir vor, wie er mit seinen ruhigen Händen, in seiner sorgsamen Art sich das Tuch umbindet – ein Ritual, das seinen Widerstand und seinen Rückzug zugleich verkörpert.

Und wenn die Tradition des Aschermittwochs uns zum demütigen Nachdenken motivieren soll, möchte ich mit diesem unsichtbaren Bild meinen Beitrag beenden.